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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

Am ersten Sonntage des Advents.
Römer 13, 11–14.

 ES ist Zeit, aufzustehen vom Schlafe!“ Der Schlaf, der ist nichts anderes, als das Alltagleben in Sünd und Sündengemächlichkeit. Aufstehen, das ist nichts anderes, als Christum oder die Sonne der Gerechtigkeit anziehen im Glauben. Es ist Zeit − ja, ja! Denn die Nacht ist vergangen, da keine Hilfe, keine Erlösung war, da man in Sünden schlummerte, weil keine Stimme des Evangeliums Vergebung, Frieden, Erneuerung anbot. Und gekommen ist der helle, lichte Tag, der Tag des neuen Testamentes, der Tag der Gnade, das Jahr des Heils! Es ist die Zeit aufzustehen! Ists denn nicht Zeit? Ists bei dir nicht Zeit? Schmeckt dir denn der Schlaf der Sünde so gut? Es kann doch nicht sein! Es kann nimmermehr sein. Im Schlaf der Sünde ist ein Traum des Gerichts und zugleich Gefahr, das Heil zu verschlafen. Ein peinigender Traum, eine schreckliche Möglichkeit! Es kann dir unmöglich wohl sein bei dem Schlafe der Sünde! Die größte Qual des Wachens ist nicht so schrecklich, als dieselbe Qual, wenn man sie träumte. Die lieblichsten Träume haben Todesschauer bei sich, − und die schrecklichen Träume sind Nachtbilder voll Grauens einer kommenden ewigen Nacht. Aufwachen, aufwachen, denn es ist Zeit!

 Ja aufwachen! Aber nicht, um mit den Augen zu blinzen und wieder einzuschlafen. Aufwachen, aufstehen. Christum anziehen, den schmalen Weg wandeln, drauf verharren, bis das Heil gar gekommen ist, das immer näher kommt! Aufwachen und verharren, bis die Stunde des Erwachens zum ewigen Leben kommt!

 Das Heil ist nahe! Du kommst ja und mit Dir Dein Lohn! Die Jungfrauen schliefen, da das Geschrei vom Bräutigam kam, und etliche hatten beim Erwachen kein Oel, entgegen zu gehen! HErr, erwecke mich Du und gib mir Leben, das nicht verlischt, ehe ich sterbe, und das da triumphirt, wenn ich sterbe! Wenn diese Augen entschlafen und mein Leib zur Verwesung geht, dann erlösche meine Lampe nicht. Voll übergebe ich sie Dir − und Du gibst sie mir voll wieder, wenn das Geschrei Deiner Zukunft kommt! − Du bist nahe! Hilf mir, daß ich Dich mit Freuden schaue! Amen.


Am zweiten Sonntage des Advents.
Römer 15, 4–13.

 EInerlei gesinnt sein!“ − Das ist etwas Großes, wenn es auch nur bei zwei Menschen sich findet. Mann und Weib, wie nahe sind sie einander, − und doch wie selten ist es, daß sie einerlei gesinnt sind untereinander. Und wenn es sich findet, wie selten geschieht es, daß ihre Einigkeit recht ist vor Gott dem HErrn. Ach, wie selten ist unter Zweien rechte Einigkeit! Die Zwei, die recht einig gewesen sind in dem HErrn, sollte man eines unsterblichen Andenkens würdigen. Denn in ihnen hat Gott ein Wunder der Liebe geoffenbart! − Und nun erst wenn drei eins werden! Wunderbarer Gott! − Und so hinauf zu mehreren! Oder gibts da keine Ewigkeit mehr? Ja doch! Hast du Augen, so sieh in die heutige Epistel und staune! Ueber was sollst du staunen? Siehst du nicht eine überraschende, eine alle

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 249. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/260&oldid=- (Version vom 8.8.2016)