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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

an dem gemeinsamen „Glauben“. Alle Unterschiede werden verschlungen durch die Einigkeit des Glaubens. Ja, so ganz einig werden alle durch den Glauben, daß der Text spricht: „Ihr seid allzumal Einer in Christo“. Alle haben Christum angezogen, Christus deckt sie alle und vereinigt sie zu einem heiligen Leibe, deßen Haupt Er ist. Aus allen getauften Gläubigen wird Ein Gottesmensch. Und so gar kein Unterschied bleibt mehr zwischen Juden und Heiden, daß die Heiden sich auch Abrahams rühmen dürfen als ihres Vaters, daß sie Abrahams Same werden in Christo und daß sie nach der Verheißung Erben alles Segens werden, den Abrahams Same hat. So gehen alle Vorzüge der Juden auf die Heiden über, wenn sie durch den Glauben Christi Eigentum werden. Japhet wohnt in Sems Hütten und Sems HErr wird auch Japhets HErr. Alles wird Eins. Christus ist ein Ende der Trennung, ein Anfang, Mittel und Ende aller Einigkeit der Menschheit, der Sammel- und Lebenspunkt Seiner ganzen Kirche. − Das ist der Christus, der heute beschnitten ist. Um Ihn bewegt sich, wie die Sterne um die Sonne, die gesammte erlöste Menschheit. Ihn wird man loben, wenn Sonne und Mond nicht mehr sein werden, und Er wird der Seinen ewiges Licht und ihr ewiger Preis sein. Halleluja.


Am Sonntage nach dem Neujahre.
1. Petri 4, 12–19.

 DIe Schriften des heiligen Petrus zeichnen sich durch eine große Fülle vor denen der andern heiligen Schriftsteller aus. Während jeder von den andern Aposteln besondere Aufgaben löst, scheint es fast, als habe St. Petrus alles zusammenfaßen sollen und wollen. Sein Ausdruck ist wunderbar reich und schön, und macht einen besonders befriedigenden Eindruck auf männliche Seelen. Man begreift es, warum der HErr in den Tagen Seines Fleisches so manchmal Petrum wie einen Erstling und Vertreter der Apostel anredet. Vollendete Mannesweisheit und Manneskraft sehen wir an dem heiligen Petro, wo er nicht etwa von einem Fehl übereilet wird, überall hervorleuchten.

 Wie herrlich ist die heutige Epistel! Wer kann sich an ihr satt lesen! Und wie vortrefflich ist ihre Wahl! Sie paßt eben so gut als Nachklang des Namensfestes JEsu, indem sie uns selig preist, wenn wir über dem Namen JEsu geschmäht werden, als sie zum heutigen Evangelium stimmt, indem sie uns ermuntert, mit dem leidenden Flüchtling, dem heiligen JEsusknaben, und um Seinetwillen zu dulden. Doch ist die letztere Beziehung vorherrschend, und die ganze Lection ist von dem einen Gedanken getragen, den St. Petrus in demselben Briefe (2, 21.) in den Worten ausspricht: „Dazu − zu unschuldigem Leiden um Christi willen − seid ihr berufen, sintemal auch Christus gelitten hat für uns und uns ein Fürbild gelaßen, daß ihr sollt nachfolgen Seinen Fußstapfen.“

 Laßt uns den Inhalt überschauen! − Die Hitze der Verfolgung und der Leiden soll nicht befremden, denn sie ist nichts Fremdes, nichts Seltsames. Wenn sie nicht käme, das wäre befremdlich und seltsam; denn Christus hat allen Seinen Jüngern den Weg Seiner Nachfolge als einen Kreuzweg bezeichnet und in vielen Worten, bei vielen Gelegenheiten bezeugt, daß keiner Sein Jünger sein könne, der nicht Sein Kreuz auf sich nehme und Ihm nachfolge. − Man sollte es freilich befremdend finden, wenn unter uns, mitten im Schooße der christlichen Kirche, ein Mensch um Christi willen leiden muß; man sollte denken, für uns paße die Epistel nicht. Aber die Welt hat sich auch unter dem Schatten des christlichen Lebensbaumes angebaut und findet es gut, drunter zu wohnen. Weil nun die Welt nicht bloß außerhalb, sondern auch innerhalb der Kirche Gottes ist, so geschiehts, daß man in der Kirche um Christi willen leiden muß. Das Kreuz ist also auch bei uns nicht befremdlich, und die Epistel gehört auch uns.

 So kommts denn, daß wir uns auch die Freude zueignen dürfen, die St. Petrus Christi leidenden Jüngern zuspricht. Es ist freilich ein wunderliches Ding und klingt fast wie Widerspruch, wenn wir lesen: „Freuet euch, daß ihr mit Christo leidet.“ Sich freuen − und leiden, wie gehört das zusammen? Die Freude soll doch das Leiden nicht verzehren, sonst wäre ja der Grund der Freude selbst nicht mehr vorhanden,

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 256. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/267&oldid=- (Version vom 14.8.2016)