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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

Christus, gieng auf über Israel; mitten im heiligen Lande wird Er geboren, beginnt Er Seinen Lauf, bringt Er Sein Licht. Drei und dreißig Jahre lebte, predigte, wirkte Er, und als Er gestorben war und wieder auferstanden und gen Himmel gefahren, da wurde Sein Name nicht geringer, sondern größer und Sein Ruhm erleuchtete durch das Wort Seiner Knechte die Welt wie die Sonne, wenn sie zum Mittag emporsteigt. Da konnte Israel die Trauer laßen, da konnte Jacob fröhlich sein, da hieß es: „Mache dich auf, werde Licht, denn dein Licht kommt, und die Herrlichkeit des HErrn geht auf über dir“.

 Zu derselben Zeit begann es sich unter den Völkern zu regen, wie in Israel, so unter den Heiden, wie unter den Heiden, so in Israel, und die Bewegung war eine zwiefache. Die eine war eine feindliche und von ihr redet der 2. Psalm: „Warum toben die Heiden und die Leute reden so vergeblich? Die Könige im Lande lehnen sich auf und die Herren rathschlagen miteinander wider den HErrn und Seinen Gesalbten“? Die andere aber war eine freundliche, von welcher unser Text spricht: „Die Heiden werden in Deinem Lichte wandeln, die Könige im Glanze, der über Dir aufgeht“. Christus wird sein ein Fels der Aergernis, ein Zeichen, dem widersprochen wird, ein Scheidepunkt der Menschheit. Eine große Menge tobt wider Ihn und geht verloren; aber nicht wenige sind auch derer, die sich zu Ihm sammeln, an Ihm auferstehen und selig werden.

 Die zweite, fröhliche Bewegung der sich sammelnden Kirche ist es vornehmlich, von welcher unsre Epistel spricht. Das Heil kommt von den Juden und von Zion geht aus der schöne Glanz des HErrn; aber zu den Juden und ihrem heiligen Berge kommt es auch von allen Seiten heran. „Hebe deine Augen auf, spricht der Prophet, und siehe umher, diese alle versammelt kommen zu dir. Deine Söhne werden von Ferne kommen, deine Töchter zur Seiten erzogen werden; die Menge am Meer wird sich zu dir bekehren, die Macht der Heiden kommt zu dir; die Menge der Kameele wird dich bedecken, die Läufer aus Midian und Epha. Sie werden aus Saba alle kommen, Gold und Weihrauch bringen und des HErrn Lob verkündigen.“ − So wird Israel der Sammelpunkt aller Völker werden, weil von ihm aus das Heil kommt. Alle Kinder Japhet werden zu Sems Hütten wallen und alle Völker anbeten an den heiligen Orten von Juda. Alles wird sich zu Juda und Israel bekehren − und der Heiland Israels, der Löwe aus Juda, wird der Beruhiger aller Völker werden.

 Wird sich des Israel freuen und Juda fröhlich sein? Ein Theil von Israel und Juda wird sich freuen, daß alle Völker sich zur Einigkeit seines Glaubens versammeln. „Du wirst deine Lust sehen, redet deshalb der Prophet den frommen Haufen an, du wirst ausbrechen und dein Herz wird sich wundern und ausbreiten, wenn sich die Menge am Meer zu dir bekehrt.“ Aber ein anderer Theil wird sich nicht freuen, wird dem Volk Israel allein das Heil gönnen und lieber es gar nicht annehmen, ehe sie es mit den Heiden theilen. Und auch die Frommen werden sich „wundern“ und es wird nicht alsbald, sondern erst nach und nach über sie die Freude kommen, wenn das Heil nicht bei ihnen allein bleiben, sondern alle Völker erleuchten wird. Wir sehen das auch in der Erfüllung und die Geschichte der Apostel gibt Zeugnis davon. Selbst Petrus und die heiligen Apostel wunderten sich über das von der Welt her verborgene Geheimnis, daß auch die Heiden Miterben sein sollten an der Gnade Gottes und es bedurfte besonderer Führungen Gottes, um ihnen den gnadenreichen Gottesgedanken von der Heiden Seligkeit angenehm und zur Freude zu machen.


 Dieß ist der Inhalt der Epistel, und wie schön vereinigt er sich mit dem Inhalt des Evangeliums. Zwar ist, was wir in diesem lesen, nur ein kleiner Anfang der Erfüllung; man könnte ihn mehr ein Pfand der Erfüllung nennen oder eine Bekräftigung der Verheißung, wenn man ihn mit dem vergleicht, was nach Pfingsten geschah. Aber nenne mans, wie man will: was die Epistel in der Fülle weißagt, − wie es im Einzelnen zu verstehen ist, das zeigt uns das Evangelium doch. Die Weisen aus Morgenland kommen, Gold und Weihrauch bringen sie, wie es geschrieben steht, dem kaum Geborenen, und Sein Lob verkündigen sie im Heimathlande. Das Licht Christi führt sie durch finstere dunkle Orte zum hellen Mittelpunkt der Welt; der Stern führt sie zur Sonne. In Zions Licht, im Glanze, der über Israel aufgegangen, ziehen sie wieder heim. Licht ist über sie gekommen und die Herrlichkeit über ihnen aufgegangen, ehe nur Israel etwas

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 258. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/269&oldid=- (Version vom 14.8.2016)