Seite:Wilhelm Löhe - Evangelien-Postille Aufl 3.pdf/278

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

dem Waßer des kühlen Felsens, weil der geistliche Fels Christus mit ihnen gieng. Sie hatten also auch eine wunderbare Speisung und Tränkung, gleichwie auch wir im heiligen Abendmahl wunderbarlich eßen und trinken. Und doch hatte an ihrer vielen Gott kein Wohlgefallen, sondern schlug sie nieder in der Wüste. Starben doch außer Josua und Caleb alle, die von Egypten ausgegangen waren, selbst Mose und Aaron, und keiner sonst betrat den Boden des heiligen Landes. − Unter den größten Wundern und Gnadenerweisungen Gottes kann man also verloren gehen, wenn man sich durch Gottes Gnaden nicht zur Heiligung geleiten läßt. Was den Israeliten geschah, das ist ihnen geschehen „uns zum Fürbilde“. Achten wir, die wir unter den Wundern der Sacramente leben, des schreckenden Exempels und ringen nach Heiligung!

 Vom Eifer in der Heiligung gebraucht der Apostel ein doppeltes Bild, das Bild von der Laufbahn und vom Wettkampf. Bei den Griechen wurden häufig allerlei Spiele gehalten. Was ein jeder konnte, trug er da zur Schau, der Läufer die Behendigkeit seiner Füße, der Starke die Kraft und Gewandtheit seiner Glieder. Und wenn mehrere von gleicher Kraft und Tugend vorhanden waren, so eiferten sie miteinander, ein jeder that sein Bestes und bestellte Kampfrichter urtheilten, welcher von den Kämpfern der vorzüglichste war. So war eine Laufbahn zugerichtet, ein Ziel gesteckt, nach welchem alle liefen, ein Punkt des Auslaufs für alle bestimmt. Wer zuerst zum Ziele gelangte, war Sieger. So kämpften und rangen miteinander die Starken, und wer den andern oder die andern übermochte, wurde gekrönt. − Das waren den Korinthern wohlbekannte Sachen, denn dergleichen Kampfspiele und Wettkämpfe wurden nahe bei ihrer Stadt oftmals gehalten. Darum wendete es der Apostel in dem an sie gerichteten Briefe an.

 Das Leben nennt er eine Laufbahn; den ewigen Gnadenlohn, der auf uns am Eingang des Himmels wartet, nennt er das Kleinod, das dem zuerst Anlangenden vom Ziele winkt. Eifrig, ohne Unterbrechung, geduldig, ausharrend bis zum Ende des Lebens, bis zum Eingang in die Ewigkeit muß in dem Ringen nach Vollendung der sein, der am Ziele Lohn empfangen will. − Und gleichwie der Apostel mit diesem ersten Gleichnis den Eifer und die Ausdauer im Kampf der Heiligung andeutet; so bezeichnet er mit dem zweiten die Enthaltung von alle dem, was zum rechten Kampf nicht taugt. Starke Ringer und Wettkämpfer pflegten sich in Speis und Trank und in der ganzen Lebensart so zu halten, daß es ihrem Vorhaben, einen Wettkampf einzugehen, gemäß war. Sie gaben sich keinen entnervenden oder verweichlichenden Genüssen hin, sie betrachteten das ganze Leben als eine Vorübung zum Kampf. Sie hielten ihren Leib hart, sie mutheten ihm manches zu, sie übten ihn, daß er Schläge und Stöße wohl vertragen konnte. So viel lag ihnen an der vergänglichen Krone, die sie vielleicht erlangten. So darf auch ein Christ im Kampfe des Lebens sein nicht schonen. Will er gekrönt werden, so muß er alles vermeiden, was ihm in seinem Kampfe hindernd in den Weg treten, was ihn matt, lau und untüchtig machen könnte. Eifer der Heiligung ohne Muth zur Entsagung ist nicht zu denken. Der im Guten zunehmen will, muß sich der Welt und ihrer Lust entschlagen. So that der Apostel zum Vorbild der Gemeinde. Sein Geist übte Herrschaft über den Leib und seine Lüste, er betäubte und zähmte ihn, auf daß er nicht andern predigte und selbst verwerflich würde.

 Wir wollen ihm nachfolgen. Unser Eifer, unsre Geduld, unsre Entsagung muß durch den Genuß und die Kraft der heiligen Sacramente gestärkt werden. Aus ihnen, den gnädigen Lebensquellen Gottes, müßen wir die Kräfte nehmen, die uns für unsern Lebenslauf und Kampf tüchtig machen können. So wenden wir sie recht an, so vermeiden wir das Beispiel und Schicksal der in der Wüste niedergeschlagenen Israeliten, so laufen wir nicht aufs Ungewisse, so thun wir nicht Luftstreiche, so gelangen wir gewis zu Lohn und Kron, so dringen wir in Geduld und guten Werken zum ewigen Leben vor! − Wohl uns, wenn wir Treue im guten Kampfe üben. Denn es gilt ja ewige, nicht vergängliche Kronen! Wohl uns, wenn wir uns gesagt sein laßen, was geschrieben steht: „Sei getreu bis in den Tod, so will ich dir die Krone des ewigen Lebens geben!“


Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 267. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/278&oldid=- (Version vom 14.8.2016)