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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

der Apostel, und keiner, der wahre Liebe in der Brust trägt, kann und darf sagen, daß heilige Strenge der Liebe widerstreite. Die Kirche hatte in den ersten Zeiten, wo sie am strengsten war, den größten Ruhm der Liebe, und in den Zeiten, wo sie zuchtlos geworden ist, ist ihr mit der Liebe fast alles Verständnis für Liebe verloren gegangen.

 „Euer Ruhm ist nicht fein,“ ruft Paulus den laxen Corinthern zu. Was würde er zu uns sagen? zu unsrer lieblosen Laxheit? − Ach, wir müßen uns schämen! − Zu einem österlichen Leben werden wir ermuntert. Ist der HErr auferstanden, genießen wir die Frucht Seiner Auferstehung, ist unser Leben eine immer vollere Theilnahme an unserm Osterlamm; so wollen wirs beweisen! Ist einer durch die Sünde gestorben, Christus, so seien wir alle für die Sünde gestorben. Ist einer zu einem sündenlosen Leben auferstanden, so müßen auch wir, nachdem wir versöhnt sind, leben wie Brüder des Auferstandenen, denen alles daran gelegen ist, an ihrem Theil der Auferstehung der Gerechten entgegen zu kommen! Es helfe uns dazu der HErr und die Kraft Seiner Auferstehung! Amen.


Am zweiten Ostertage.
Apostelgeschichte 10, 34–41.

 DIe heutige Epistel und die vom zweiten Pfingsttage hängen genau zusammen; sie sind alle beide aus der Geschichte der Bekehrung des Hauptmanns Cornelius und seiner Hausgenoßen genommen. Und zwar werden uns weniger die Vorbereitungen, als das Ende der Geschichte, nemlich die Predigt Petri und deren Wirkungen und Folgen vorgelegt. Die heutige Epistel ist ganz und gar nichts anders, als ein Stück der Predigt Petri; die des zweiten Pfingsttags gibt das letzte Stück von Petri Predigt und dazu, was uns von den Wirkungen und Folgen derselben aufgezeichnet ist.

 Bei der heutigen Epistel wollen wir uns drei Fragen beantworten: Was haben die Apostel gepredigt? Wie haben sie es gepredigt? Wem haben sie gepredigt?

 Die Antwort auf die erste Frage wird sich zwar erst mit der Epistel des zweiten Pfingsttags völlig erledigen. Doch gibt uns die heutige den größten und besten Theil der Antwort. Die Apostel haben den Heiden und Juden zu allererst die Geschichte JEsu Christi erzählt. Damit legten sie den Grund. Besonders aber pflegten sie die Auferstehung des HErrn hervorzuheben. Sie ist so ganz der Brennpunkt ihrer Reden von JEsu, daß sie gerne sich selbst Zeugen der Auferstehung und den wesentlichen Inhalt ihrer apostolischen Botschaft oftmals ein Zeugnis von der Auferstehung nennen. − Es ist also die apostolische Verkündigung zunächst ein geschichtlicher Vortrag gewesen. Biblische Geschichte, Geschichte JEsu war die Grundlage, auf welche die heiligen Apostel das ganze Gebäude der heilsamen Erkenntnis gründeten. Und so muß es jetzt noch sein. Unser ganzes Heil beruht auf Thaten Gottes in Christo JEsu, auf dem Fortgang der Geschichte des Leidens, Sterbens und der Verherrlichung Christi. Wollen wir deshalb die Unwißenden zu Christo führen, seien es Kinder, seien es erwachsene Heiden oder andere Ungläubige, so theilen wir ihnen die Geschichte JEsu mit, und damit haben wir jedenfalls die Hauptsache gethan.

 Und wie haben die Apostel diese ihre Predigt abgelegt? Jeden Falls so, daß sie ihren Zuhörern genauen Bericht gaben. Unsre Evangelien, insonderheit die drei ersten, sind wohl nichts anderes als die Summe der Mittheilungen, welche die Apostel ihren Schülern zu machen pflegten. An ihnen können wir sehen, wie eingehend und reichlich ihre Erzählungen aus der Geschichte JEsu waren. Wir sehen es jedoch auch schon aus unsrer Epistel. Sie ist ein Meisterstück eines zusammenfaßenden und doch genauen Vortrags der Geschichte JEsu. − Je genauer und eingehender ein geschichtlicher Vortrag ist, desto fester prägt er sich der Seele ein. Je allgemeiner er gehalten ist, desto leichter entschwindet er dem Gedächtnis wieder. Wer für die Dauer arbeiten will, der folge deshalb den Aposteln nach und lehre die biblische Geschichte in allen den Theilen, die er seinen Schülern mitzutheilen für gut findet, genau und umständlich.

 Und wem haben die Apostel diese Mittheilungen gemacht? Anfangs allerdings nur den Juden, aber

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 278. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/289&oldid=- (Version vom 14.8.2016)