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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

Am Himmelfahrtstage.
Apostelgeschichte 1, 1–11.

 WAs ist uns die Himmelfahrt, was lernen wir aus ihr? Das sei die Frage, die wir uns beantworten wollen. Ich denke aber an keine erschöpfende Antwort, sondern es ist mir genug, wenn nur das, was ich sage, richtig und wahr ist. Meine Antwort aber ist einfach diese:

 1. Die Himmelfahrt ist ein Beweis, daß es ein ewiges und herrliches Reich Christi gibt. Die Jünger fragten auf ihrem letzten Gang, den sie mit JEsu nach Bethanien giengen, ob das Reich nun werde aufgerichtet werden. Darauf sagt der HErr nicht, daß es ein solch Reich nicht gebe, sondern nur, daß den Jüngern nicht zustehe, des Reiches Zeit und Stunde zu wißen. Indes stand Er Selbst bereits da, der König des Reiches, bereit, aufzusteigen zum ewigen Throne, und Sein eigner Mund versicherte, daß Ihm bereits alle Gewalt im Himmel und auf Erden gegeben war. Er und Seine Auffahrt, der König und Sein Gang zum Throne sind Beweis genug, daß es ein solches Reich gibt, wie die Jünger hofften, ja ein Reich, welches an Herrlichkeit alle Gedanken der Jünger weit übertraf.

 2. Ferner ist die Himmelfahrt ein Beweis, daß es für dieß Reich bereits einen Ort gibt, an welchem es bereits begonnen hat, den Himmel. Des HErrn Auffahrt gen Himmel ist nicht eitles Spiegelfechten. So gewis der HErr leiblich, sichtbar auffuhr, so gewis ist Seine Auffahrt eine wahre Bewegung von unten nach oben und droben, im Himmel, ist das Ziel, wo Sein Leib zu ewiger Ehre und Ruhe kommt. Ist der Himmel kein Ort, was will denn eine leibliche Auffahrt? Was ist denn die leibliche Erscheinung Christi vor den Augen Pauli, die doch so körperhaft und wesenhaft gewesen, daß Pauli Augen erblindeten? Wo wäre denn der Leib des HErrn nach der Auffahrt gewesen, nur z. B. bis zur Erscheinung bei Damascus, wenn er nicht im Himmel, wenn der Himmel kein Ort, sondern ein Zustand wäre, der mit Raum und Zeit in keiner Verbindung stände?

 3. Die Himmelfahrt ist uns drittens ein Beweis, daß auch unser Leib durch die Gnade Christi ein Anrecht auf das ewige Reich und auf den Himmel hat. Christi Leib, der auffuhr, ist ein wahrer Leib gewesen, der Leib der Auferstehung, von dem Er Selbst sagte, daß er Fleisch und Bein habe. Dieser verklärte, aber wahrhaftige Leib fuhr auf gen Himmel, zum ewigen Ort der Ehre. Zwar ist nun zwischen uns und Christo ein großer Unterschied. Seine Menschheit nimmt in der Verklärung Theil an allen Eigenschaften Gottes, kann allenthalben sein und ist ganz ein Tempel der Fülle Gottes, wie das die lutherische Kirche richtig bekennt und lehrt. Dagegen wird unser Leib von all den Folgen der persönlichen Vereinigung der Menschheit mit der Gottheit keine haben. Aber doch wird er auferstehen, nach der Auferstehung ein wahrhaftiger Leib sein, durch die Luft dem kommenden Christo sich zugesellen und mit Ihm eingehen in den Himmel. − Du bist von der Erde und zur Erde sollst du werden, spricht des HErrn Mund in Gerechtigkeit. Aber derselbe spricht auch in Gnade und Wahrheit: „Ich will euch auferwecken am jüngsten Tage.“ Die Gnade und Barmherzigkeit rühmt sich wider das Gericht − und wenn wir unsre Himmelfahrt halten werden, da wird die Gnade unsers HErrn JEsu vor allen Creaturen glänzend offenbar werden.

 4. Die Himmelfahrt des HErrn geschah also: daß ihr unmittelbar des HErrn Befehl vorangieng, allen Menschen das Evangelium zu predigen, und damit ist sie uns ein Beweis, daß alle Menschen an dem ewigen Reiche und am Himmel Antheil haben sollen. Denn wozu wird das Evangelium gepredigt, wenn nicht um die Menschen zum Himmel zu bereiten? Aus dem Evangelium kommt der Glaube, aus dem Glauben das ewige Leben. Alle hören das Evangelium, weil alle glauben und alle selig werden sollen. Sollen sie aber alle selig werden, so sollen sie es nicht bloß der Seele, sondern auch dem Leibe nach werden, so soll zwar die Seele voran, aber hernach in der Auferstehung auch der Leib zum Himmel sich erheben. Das ist die Meinung JEsu, daß alle Ihm nachkommen und bei Ihm bleiben sollen, bis Er die neue Erde gebaut haben und auf sie die ewige Gottesstadt mit allen ihren Bewohnern herabkommen wird.

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 283. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/294&oldid=- (Version vom 14.8.2016)