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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

was für eine höllische Verbindung zwischen ihnen, daß man sie kaum auszusprechen, kaum anzudeuten wagt. Was der Neid, der Haß, die verstockte Gereiztheit des hohen Rathes beschloßen hat, dazu findet sich die Ausführung durch − den Geiz eines Apostels, der Vermittler aber ist der Teufel. Nun ist der Knoten geschürzt; nun wird es vorwärts gehen. Was Kaiphas geweißagt, was der hohe Rath beschloßen: es ist nun vor der Thür: nun wird es bald ein Begräbnis geben, die Hand des Weibes und die Deutung des Mundes JEsu werden wahrhaftig erfunden werden!

 Brüder, es geht weit in die Anfänge der christlichen Zeiten zurück, daß man am Mittwoch jeder Woche zur Kirche geht und ihn als einen wöchentlichen Bußtag hält. Die Kirche thut − seit wie vielen Jahrhunderten? − Buße dafür, daß an einem Mittwoch ein solcher Vertrag, nämlich der zwischen Judas und dem hohen Rath, zu Stande kam. Und wahrlich, diese Sünde ist einer Buße bis ans Ende der Welt vollkommen würdig und bedürftig. Laßt uns an jedem Mittwoch, wenn wir zur Kirche gehen, darüber trauern, daß sich nicht bloß ein Mensch, sondern gar ein Apostel zu dem fluchwürdigen Vertrage willig finden laßen konnte! Laßt uns aber auch nicht des edlen Weibes und ihrer Salbe vergeßen: auch sie und ihre schöne Mittwochsthat sei unter unsern Mittwochsgedanken mit oben an; hat sie doch auch in unserm Namen gehandelt! Und von ihr laßt uns auch lernen, daß JEsum ehren, zu Seinem Ruhme Geld und Güter opfern der Barmherzigkeit gleich steht, − daß was man in frommer Einfalt Ihm Selber opfert nicht minder gut angewendet sein kann, als was man Seinen Stellvertretern, den Armen, thut.




5. Das Testament.
Matth. 26, 17–29.

 AM Mittwoch, während der HErr im Kreiße Seiner Freunde zu Bethanien ruhte, war in Jerusalem der fluchwürdige Vertrag zu Seinem Verrathe geschloßen worden. Am Donnerstag machte der HErr im Vollgefühle der Todesnähe Sein Testament, − und das ist es, was wir hier hervorzuheben haben. Nicht was das heilige Abendmahl sei − an und für sich selbst und in der Führung der Kirche Gottes auf Erden, sondern seine Stellung in der Leidensgeschichte betrachten wir hier. Was ist es aber in der Geschichte Seiner Leiden, wenn nicht des scheidenden JEsus Testament? − Am 10. Nisan wurden die Passahlämmer eingestellt, also in jenem Jahre am Palmensonntag. Am 14. Nisan, das war nun grade am Donnerstag, von welchem wir reden, mußte es geschlachtet werden, um am Abend desselben Tages, mit welchem aber nach jüdischer Rechnung der 15. Nisan begann, mit süßen Broten und bittern Salsen gegeßen zu werden. Es war also ganz an der Zeit, daß die Jünger zu JEsu traten und sprachen: „Wo willst Du, daß wir Dir bereiten das Osterlamm zu eßen?“ Der HErr aber war keineswegs unvorbereitet auf diese Frage: auch war Ihm die Passahmahlzeit nicht etwa hinter die Ihm bevorstehenden, Ihm wohlbekannten Ereignisse zurückgetreten. Im Gegentheil, Er hatte auf die Frage der Jünger gewartet, alles war bereits vorgesehen, um der Frage genügen zu können. Bei dem Passahmahle will Er Sein Testament eröffnen, dieß Passahmahl ist Ihm daher wichtig und werth, Er versäumt und übergeht es nicht. Zu einem Einwohner von Jerusalem, der Ihm ohne Zweifel bekannt gewesen war, schickt Er die Jünger, die ihn selbst nicht kennen, aber an der Handleitung untrüglicher Zeichen leicht und sicher finden. Er zeigt und überläßt ihnen für JEsu letzte Passahfeier einen anständigen gepflasterten Saal. Da bereiten sie alles und am Abend, zur bestimmten Zeit, findet Sich JEsus ein. Das Passahmahl wird eröffnet und an dem stillen, verborgenen Orte geschieht nun vor auserwählten Zeugen die wichtigste Verhandlung: das alte Testament sammt dem alttestamentlichen Passah kommt zum Abschluß, das neue Testament sammt der neutestamentlichen Passahmahlzeit beginnt. Beide Handlungen, der Abschluß des alten und die Eröffnung des neuen Testamentes stehen in der innigsten Beziehung

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 295. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/306&oldid=- (Version vom 8.8.2016)