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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

zum Tode des HErrn, und ohne diesen war weder die eine, noch die andre möglich. Wenn Er nun aufgeopfert wurde, fiel Sinn und Bedeutung des alten Passahs und Passahmahles von selbst dahin, denn das alttestamentliche Passah und Passahmahl waren nur Vorbild Seiner Aufopferung und der seligen Folgen derselben: Er Selbst war das rechte Passahlamm, für uns geopfert. Und eben so, wenn Er nun starb, so begann damit ein Neues, eine neue Zeit, neue Freude, neue Feier; Alles lag an Seinem Tode, doch war es nicht der Wille Gottes, den Schluß des alten und den Beginn des Neuen Testamentes erst nach dem Tode JEsu zu verkünden. Hinter dem Tode JEsu liegt eine andre Welt; Altes und Neues Testament aber gehören diesem Leben an, die Wendung zwischen beiden gehört gleichfalls diesem Leben, daher wird sie auch von dem HErrn noch vor Seinem Scheiden bekannt gemacht und vollzogen. War doch Sein Abschied gewis, Seine Todesstunde ganz in der Nähe, Er Selbst voll tiefen Bewußtseins, daß Er am Ziele stand; Er konnte, bevor Er starb, die Folgen Seines Todes sehen und handeln, als wäre er vorüber. Aber freilich, wenn Er von den Jüngern verstanden werden wollte, so mußte auch ihnen der Gedanke Seines Abschieds und Todes geläufig werden, sie mußten eine unabweisbare Belehrung und eine hinlängliche Ueberzeugung von der Nähe Seiner Aufopferung bekommen. Dazu dient nun die Verkündigung des bevorstehenden Verraths Judä, welche der HErr, Selbst erschüttert von dem grausenhaften Gedanken, daß ein Apostel Ihn verrathen sollte, zur Erschütterung der andern Apostel nun unverweilt folgen ließ. Ein Apostel, der Sein Brot aß, Sein Freund und täglicher Gefährte wird Ihn in die Mörderhände Seiner Feinde überliefern: und was wird denn sein Lohn sein? Er wird eher, als der Verrathene in die Ewigkeit kommen − durch eigene Mörderhände: und was wird sein Lohn sein? „Des Menschen Sohn geht hin, sagt der HErr, wie es von Ihm geschrieben steht, aber wehe dem Menschen, durch welchen Er verrathen wird; es wäre ihm beßer, wenn er nicht geboren wäre.“ Ernste, aber fruchtlose Warnung! Alle Jünger, voll peinigenden Mistrauens gegen das eigene Herz, suchen Gewisheit und Ruhe in der Versicherung JEsu, daß nicht sie es wären, welche diese furchtbare Verschuldung auf sich laden würden. Von Mund zu Mund geht die Frage: „HErr, bin ichs?“ Auch Judas kann nicht anders, sein heuchlerischer Stolz läßt ihm keine Ruhe, er muß auch noch scheinen, er darf noch nicht hervortreten. „Bin ichs?“ fragt auch er. „Du sagst es,“ ist die Antwort. Er ist erkannt, entlarvt und kund gegeben, − aber er wird nicht los aus des Teufels Strick, bevor er die That vollbracht hat. Der Teufel, die alte Schlange, deren Stunde nun kommen ist, den Weibessamen in die Ferse zu stechen, hat den Apostel, wie einst Eva, bezwungen, ja gar beseßen. Je größere Liebe der HErr an ihn verschwendet, desto härter macht der Satan seine Seele, desto tauber sein Ohr: er muß Den, des Brot er aß, mit Füßen treten und mit schnödem, mörderischem Undank Den bezahlen, der ihn je und je geliebt und aus Liebe zu Sich gezogen hatte. Desto unabweisbarer tritt die Versicherung des HErrn von Seinem nahen Tode hervor, desto weniger können sich die Jünger ferner gegen dieselbe wehren, der Gedanke vom Tode JEsu mußte ihnen eindringlich und geläufig werden, − und so waren sie denn zubereitet, den HErrn zu verstehen, wenn Er nun vorwärts gieng und Sein heiliges Testament einsetzte. Er stirbt, Sein Leib wird angeheftet, Sein Blut vergoßen werden, es ist nichts anders: nun wird es haften und behalten, wenn auch nicht verstanden noch begriffen werden, wenn Er sagt: „Das ist Mein Leib, der für euch gegeben, − das ist Mein Blut, das für euch vergoßen wird.“ Und siehe, nun, nach dieser Vorbereitung schreitet der HErr auch wirklich zur Einsetzung des heiligen Abendmahls. Da steht Er, das Brot in Seinen heiligen, unbefleckten, allmächtigen Händen und hernach den Kelch, Er betet und segnet und reicht zum ersten Male den heiligen Nachlaß, Seinen wahren Leib, Sein theures Blut, denen, welche damals Seine Kirche auf Erden ausmachten. Die Menschen werden dem Armen vollends alles nehmen, in nackter Blöße werden sie Ihn an ein Kreuz hängen; Pilatus wird am Ende über Seinen blutigen Leichnam verfügen. Aber den Leib vermag kein Wächter inne zu halten; dieß Blut muß die Erde, welche ihr Maul aufthat, es zu empfangen, der himmlischen Stadt Jerusalem abtreten: dieser Leib, dieses Blut sind Sein Testament, sind die größten Schätze der Kirche; niemand hat Macht über sie, Er verfügt allmächtig, daß sie bis ans Ende der Seinigen selige Lebenskost sein und bleiben sollen. Dieß Testament, nicht in verblümten, sondern in unmisverständlichen, klaren Worten ausgedrückt, kann die Jünger

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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 296. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/307&oldid=- (Version vom 8.8.2016)