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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

Angst aus dem Leibe, wie fällt es in dicken Tropfen zur Erde! Es ist, wie wenn Er die Last unsrer Sünden hübe, auf Seinen Rücken nähme, wie wenn Er im Gerichte stände und Ihm der Fluch aufgelegt würde. Ich weiß keine Worte, aber Simsons Arbeit − und Stärke, hie werden sie verspottet. Gottes und Marien Sohn liegt, einen Todeskampf kämpfend, bei gesundestem Leibe blutigen Todesschweiß schwitzend im Staube, Er fleht und bebt vor Seiner Aufgabe, sucht Trost bei Gott und Menschen und findet keinen, bis doch ein Engel erbarmungsvoll den Erbarmer aller Seiner Creaturen unbegreiflich stärkt. Ach, wenn nun die heiligen Apostel gewacht, wenn sie sich doch vor Ihm niedergelegt, wenn sie Ihm doch jetzt aus tief erbebten Seelen Hosianna gesungen, wenn sie Ihn doch im Staub gebeten hätten, doch, doch, doch die unermeßliche Last auf Sich zu nehmen und zu sterben. Vielleicht hätte es Ihm wohlgefallen, vielleicht wäre das auch ein Tropfen Trostes gewesen! Aber nein, sie schlafen, es ist, wie wenn ein Schlaf von Gott über sie gefallen wäre; sie hätten alle Ursache gehabt, zu wachen und zu beten, es war ja eine Stunde der größten Anfechtung und des Aergernisses da; aber nein, nein, weder die Liebe zum HErrn, noch die eigene Noth vermag die Banden dieses Schlafes zu zerreißen, von denen sie gebunden sind. Der HErr soll von ihnen keinen Trost haben; für sie leidend, soll Er kein Wort der Liebe mehr von ihnen haben: allein, allein, ganz allein soll Er Sein Werk vollenden. − Meine theuern Brüder, es übersteigt alle unsre Sinnen und Gedanken, was unser HErr in Gethsemane gelitten hat, und wir können nur anbeten. Diese Angst, welche den gewaltigen Immanuel zum Zagen, Beben, Weinen, zum Todeskampf und Blutschweiß bringt: sie zeigt uns, wie groß die Sünde und ihr Fluch ist. Auch den einzigen von Gott erwählten Helfer grauet vor der Ihm aufgetragenen Arbeit. Aber der Verlauf dieses Kampfes läßt uns auch in JEsu Wesen Blicke thun, die uns zur Liebe, zur Verehrung, zur Anbetung entflammen können. Höret mich noch einen Augenblick. Dreimal betet der HErr in Seinem schweren Kampfe. Habt ihr auch bemerkt, daß Er die beiden letzten Male anders betet, als das erste Mal? Das erste Mal ruft Er: „Ists möglich, so gehe dieser Kelch von Mir; doch nicht Mein, sondern Dein Wille geschehe!“ Die andern Male aber betet Er: „Ist es nicht möglich, so geschehe Dein Wille.“ Die Kirche hat eine heilige, tiefgegründete Lehre. Sie behauptet, daß aus den beiden Naturen Christi auch ein gedoppelter Wille folge, ein göttlicher und ein menschlicher, daß aber in Christo JEsu die beiden nie in einen Widerstreit gekommen seien, sondern vielmehr der göttliche immerzu den menschlichen regiert, dieser sich vor dem göttlichen gebeugt habe. Hier habt ihr zu dieser heiligen Lehre den mächtigen Beweis. Der menschliche Wille schaudert vor der ungeheuren Aufgabe: dieser Schauder spricht sich in den Worten aus: „Ists möglich, so gehe dieser Kelch von Mir;“ dennoch, dennoch, auch in der höchsten Noth und Anfechtung neigt sich der menschliche Wille vor dem göttlichen des Vaters und des Sohnes: „nicht Mein, sondern Dein Wille geschehe.“ Und in dieser heiligen Ergebung schreitet die heilige Seele des Erlösers von dem ersten Gebete bis zum zweiten mächtig vorwärts: „Ists nicht möglich, heißt es, so geschehe Dein Wille.“ „Ists nicht möglich“ − also hat Er aufs erste Gebet eine Antwort: die Welt kann nicht erlöst, die Sünde kann nicht vergeben werden, wenn Er nicht unser Opfer wird; es ist nicht möglich − also „geschehe Dein Wille“, sagt Er, − und wiederholt es im dritten Gebete. Sieh hier den Gang des kämpfenden Erlösers: in allen dreien Gebeten neigt Er Sich vor dem göttlichen Willen, aber in dem zweiten tiefer, als im ersten, und im dritten beruhigter, als im zweiten. Als Er das dritte Gebet gesprochen, hatte Er die Last auf Sich genommen. Mächtig, ungebrochen und stark geht Er nun unter ihr her. Er hat Sich Selbst wieder gefunden nach großer Anfechtung: nun sieh Ihn dahingehen, leidend, alles fühlend, keinen Schmerz verleugnend, jede Last und jede Noth wägend und erwägend, ganz leidend, ja leidend; aber ganz ergeben, voller Lieb und Liebesmacht, als einen arbeitenden, bis zum Tode arbeitenden − aber auch siegenden Erlöser. So stark wird Er, nachdem Sein menschlicher Wille im göttlichen Willen auf große Anfechtung tiefe Ruhe gefunden. Noch ist die Angst nicht völlig vorüber; noch einmal werden wir die geistliche Noth auf Ihn einstürmen, die Wellen der Anfechtung sich um Ihn thürmen, auf Ihn stürzen sehen; aber Er ruht im göttlichen Willen und zieht aus demselben die Kraft an, alles zu erdulden − und so wird Er siegen. −

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Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 299. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/310&oldid=- (Version vom 8.8.2016)