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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

ist. Es ist vollbracht − vollbracht bis zum letzten Abdruck, der nun unmittelbar folgen wird: vollbracht ist Opfer, stellvertretendes Leiden und Gehorsam bis zum Tod am Kreuz. Nicht bloß zu Ende ists, nein vollbracht, im eigentlichen Sinn des deutschen Wortes vollbracht, wohl gethan ist alles. „Es ist vollbracht“, das ist ein Siegsgeschrei, in welches wir alles hineinlegen dürfen, was wir von Seinem Siege zu denken und zu sagen wißen. „Es ist vollbracht“ − das wird gerufen − ohne Freud und Leid, es wird gerufen in dem Augenblick der größten That, wo der HErr vielleicht an Freud und Leid nicht dachte, sondern allein an Seinen letzten Augenblick und den endlichen Vollzug des Opfers in der Lösung Leibes und der Seele. Das ist ein Ruf, vor dem der Teufel erschrickt, − bei welchem der Himmel zu seinen Harfen greift und das Gloria bereitet wird. − Und horch, nun, noch einen Ruf: „Vater, in Deine Hände befehl Ich Meinen Geist!“ Das ist kein Gebet, keine Bitte, oder wenigstens nicht hervorragend ist die Bitte an den Vater, diesen Geist aufzunehmen, sondern diese Worte reden von einer That. Er befiehlt, d. i. übergibt Seine Seele in des Vaters Hand fürs schöne Paradies. Kein Mensch kann die Bande zwischen Leib und Seele lösen, − kein Mensch hat Macht, sie zu lösen, − kein Mensch kennt sie; aber JEsus hat Macht über die Ihm wohlbekannten Bande: Er kann und darf Seine Seele lösen, vom Leibe frei machen und sterben. Freiwillig − ohne Nöthigung, denn für Ihn gibt es keinen natürlichen Tod in dem Sinn, wie für uns, − durch eigenen Entschluß stirbt Er und opfert Sich sterbend für uns Alle auf. Der Hohepriester vollzieht an Sich Selbst die größte That: Seine Seele entweicht, Sein Haupt neigt sich zur Brust; − zum Paradiese geht die gottverlobte, gottverwandte Seele, auf stehen die seligen Geister, freudenvoll wird begrüßt die bluttriefende, die kostbare Seele des Lämmleins Gottes; aus für immer ists mit des Teufels Hoffnung, gewonnen für uns ists auf ewige Zeiten − und paradiesische Freudenstunden hat die Seele JEsu zwischen ihrer Hinfahrt zum Paradies und der Höllenfahrt: Ruhe genießt sie am Ort der stillen Ruhe, wenn sie auch sehnlich sich auf die Wiedervereinigung mit dem Tempel ihres Leibes freut. − So ist gewonnen. Nun freut euch, ihr heiligen Engel und Auserwählten! Nun freut euch, ihr heiligen Propheten! Nun freut euch, ihr abgeschiedenen Seelen! Nun freut euch − ja bald freut euch, ihr heiligen Apostel. Nun freue dich, meine Seele!




16. Wirkungen des Todes JEsu.

 DIe Wirkungen des Todes JEsu bezogen sich auf den alttestamentlichen Gottesdienst, auf die Natur, auf das Reich der Todten und auf die Lebendigen.

 Unser HErr starb um die neunte Stunde, das ist nach unsern Uhren um drei Uhr Nachmittags. Zu dieser Zeit waren die Priester im Tempel beschäftigt, denn es war die Zeit des gewöhnlichen jüdischen Abendopfers. Als nun eben das vorbildliche Opfer auf dem Tempelaltar zum Himmel emporstieg, da ward auch das wahrhaftige Opfer auf dem wahrhaftigen Altar der Erde, auf Golgatha, vollbracht, − unser HErr starb. Und siehe, da faßt es mit unsichtbaren Händen den Vorhang, der das Allerheiligste verschloß, von oben herab bis unten reißt es das kunstvolle, bretterdicke Gewebe durch; offen ist der Zugang zum Allerheiligsten, − aber leer erweist es sich, wie es auch war. Ein Riß geschieht durch alles alttestamentliche Wesen; seine Weißagung und Bedeutung ist zu Ende; mit Einem Opfer sind alle vollendet, die geheiligt werden sollen − und bald wird das wahre Versöhnblut von dem rechten Hohenpriester, im Schmucke Seines verklärten Leibes und in der hohenpriesterlichen Zier Seines Verdienstes hineingetragen werden ins ewige Heiligtum, zu versöhnen die Sünden des Volkes. − Wie mag den Priestern gewesen sein, als der Vorhang rauschte und das Allerheiligste bloß gelegt ward, − wie, als sie vernahmen, daß der HErr zur selben Zeit vollendet hatte, vollendet mit Siegsgeschrei und einer unverkennbaren Herrlichkeit!

 Als der HErr am Kreuze vollendete − und der

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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 319. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/330&oldid=- (Version vom 8.8.2016)