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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

Geister, welche die Heimlichkeit der Wege und Werke Gottes ergründen wollen; sondern man fragt das Wie ganz praktisch, − wenn es erlaubt ist, an diesem Orte diesen Ausdruck zu gebrauchen, − man will nur auf den Weg zur Hilfe gestellt werden und ergibt sich gerne darein, ihn geschloßenen Auges zu gehen, wenn man nur auf ihm wirklich zu der sichern Hilfe kommt. Damit, daß wir wißen, die neue Geburt sei eine Geburt aus dem Geiste, ist sie uns noch nicht faßlicher und erreichbarer geworden, als zuvor. Denn wo ist, wodurch wirkt der Geist der Wiedergeburt? das wißen wir noch nicht, und grade das ists, was wir wißen müßen, wenn uns die Kunde von der Möglichkeit einer neuen Geburt nicht noch unglücklicher als zuvor machen soll. Denn was hilft’s, in höchsten Nöthen wißen, daß geholfen werden könne, wenn der Weg von der Möglichkeit zur Wirklichkeit verschloßen ist?

 Gott Lob, daß wir mit unserm sehnlichen Verlangen nicht abgewiesen werden! Der HErr nennt die neue Geburt aus dem heiligen Geiste auch eine neue Geburt aus dem Waßer, und damit enthebt Er uns aller Verlegenheit. Denn was wir unter dem neugebärenden Waßer zu verstehen haben, darüber können wir keinen Zweifel haben: es ist das Waßer der Taufe, das gnadenreiche Waßer des Lebens, das Bad der neuen Geburt im heiligen Geiste. Dieß Waßer ist erreichbar − und weil wir nun wißen, daß der heilige Geist durchs Waßer wirkt, so wißen wir wo der Saum der Kleider Christi ist, der uns genesen macht von aller unsrer Krankheit. Oder wäre etwa die Waßertaufe nicht auch die Geistestaufe? Haben diejenigen Recht, welche auseinanderreißen, was Christus zusammenfüget, Geistestaufe und Waßertaufe trennen, jene abermals zur unnahbaren, diese zur völlig unnützen Sache machen? Oder umgekehrt: Der HErr sagt, man müße neugeboren werden aus Waßer und Geist: lehrt Er etwa hiemit einen doppelten Weg der Wiedergeburt, einen durch Waßer, einen durch Geist, so daß Er, was dem Geiste zugeschrieben wird, auch dem Waßer zuschriebe? Was für eine Lehre sollte das sein? Nein! Nicht eitel ist das Waßer, und auch dem Geiste nicht gleichgestellt; sondern der HErr setzt Waßer und Geist zusammen, weil das untergeordnete Waßer zum allmächtigen Geiste gehört, weil Waßer und Geist zusammen erst eine Taufe sind, d. i. ein gnadenreiches Waßer des Lebens und ein Bad der neuen Geburt im heiligen Geiste. Suchen wir den Geist, der uns neugebiert: er ist beim Waßer der Taufe. Wo das Waßer, da ist der Geist. Nichts ist es mit der Scheidung zwischen Waßertaufe und Geistestaufe. Es ist nur Eine Taufe − aus Waßer und Geist. Wer wiedergeboren werden will, der laße sich taufen. Hiemit ist der Weg der Wiedergeburt deutlich beschrieben. Aus einem Menschen unmöglichen, verborgenen Geheimnis ist ein lieblicher, leichter Weg geworden; denn was ist für Menschen leichter, als die Neugeburt, wenn sie Taufe ist? Sie mag die größte Gottesthat sein, die alle Engel besingen: aber wie leicht kommen wir dazu? Wie lieblich, wie sanft zieht der HErr einher mit Seinem allmächtigen Waßerbade, gebiert damit neu, und weckt doch kaum ein schlafendes Kindlein damit aus dem leiblichen Schlummer!

 Aber freilich, so gut wir nun Bescheid wißen, auf welchem Wege man zur Wiedergeburt gelangt, begriffen, vom Verstande begriffen ist hiemit die Wiedergeburt nicht. Wie der Geist sich mit dem Waßer verbinde, wie Er durch das Waßer auf Leib und Seele des Täuflings wirke, wie drei Hände voll Waßer ein Kind aus einer Geburt, die Fleisch von Fleisch ist, in eine Geburt verwandeln können, die Geist aus Geist ist: wer begreift dieß Wie? Niemand begreift es, niemand kann es, niemand soll es begreifen; und wer nicht eher zu Ruh und Frieden kommen wollte, als bis er Gottes heimliches Walten in Seinem Sacramente begriffen hätte; der müßte auf Frieden und Ruhe verzichten. Der HErr Selbst weist die Frage Nikodemi „Wie mag das zugehen,“ sofern sie begreifen will, geradezu von Sich und erklärt es ohne Zögern für eben so unthunlich, ein neugeborenes Gotteskind, was seine Umwandelung anlangt, begreifen zu wollen, als wenn jemand den Wind, sein Kommen und Gehen begreifen wollte. „Der Wind bläst, wo er will, und du hörst sein Sausen wohl, spricht Christus; aber du weißt nicht, von wannen er kommt und wohin er fährt. Also ist ein jeglicher, der aus dem Geiste geboren ist.“ Jedermann nimmt den Wind wahr, wenn er weht; aber wie er in der Luft entstehe, wo er aufbreche, seinen Weg und sein Ziel, wie und wo er sich wieder lege, das weiß niemand; womit sich die Kundigen tragen, das sind lauter Beobachtungen und Wahrnehmungen, die am Ende doch das letzte Wie nicht erklären. Es gibt

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 006. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/345&oldid=- (Version vom 1.8.2018)