Seite:Wilhelm Löhe - Evangelien-Postille Aufl 3.pdf/347

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

der Wüste die Verheißung gegeben ward, daß alle leben und genesen sollten, die im Glauben das Schlangenbild ansähen; so ist uns allen, die wir Fleisch von Fleisch und darum für das Himmelreich todt geboren sind, die Verheißung einer Neugeburt und völligen Genesung zum ewigen Leben geschenkt, wofern wir in Christo unsern Stellvertreter im Gericht des Todes und in der Büßung unsrer Sünden erkennen und im Glauben faßen könnten. Solchen Glauben soll das Wort erwecken, die Taufe aber soll ihn vollbereiten, stärken, kräftigen, gründen. Wort und Taufe erweisen sich als neugebärende Himmelskräfte, indem sie diesen Glauben, diesen Quell und Brunnen alles neuen Lebens, dieß neue Leben, − denn so dürfen wir ihn nennen, − im Menschen wirken. Wort, Taufe, Glaube, Wiedergeburt hangen unzertrennlich zusammen. Wo Wort, Taufe, Glaube vorhanden sind, da ist auch Wiedergeburt, und wer getauft ist und an Christum glaubt, braucht an seiner Wiedergeburt nicht zu zweifeln. Der Glaube trägt den Säugling zur Taufe, fleht für denselben um Glauben und empfängt ihn für denselben; die Taufe wirkt im widerstandslosen, von Gott und Christo für gläubig erkannten Täufling alles neue Leben im Keim und Anfang, und alles, was die Schrift von dem Segen der heiligen Taufe sagt, gilt auch von dem getauften Sünder. Denn Gott ist treu und bescheert solchen Säuglingen und Kindern, die zu Seinem Sohne gebracht werden, durch Sein Sakrament das Himmelreich, wie Er es den Kindlein Marc. 10 durch Handauflegung Seines Sohnes bescheert hat. Darum freue man sich getrost Seiner Taufe, Seines Glaubens, Seiner Seligkeit und laße sich das Geschwätz derer nicht irren, die den Glauben von der Taufe der Kinder trennen, nur einen Glauben der Erwachsenen erkennen, den Glauben über die Taufe, die Wirkung über die Ursache erheben wollen. Du bist getauft, du glaubst, im Glauben besitzest du das Pfand für die Rechtmäßigkeit deiner Taufe, und andere Kräfte, Pfänder und Beweise werden folgen. Es kann einer, der getauft ist und im Glauben steht, der Vollendung ermangeln, und wird es auch, so lange er hie wallet; es können ihm viele Dinge, die in und an ihm sind, misfallen und mit Recht; er kann viel zu gestehen, zu beweinen, zu kämpfen, zu erringen haben; aber todt ist er nicht mehr; er ist wiedergeboren, er lebt und ist auf dem Weg zur Vollendung, denn er glaubt und ist getauft. Das laße man sich von keinem nehmen, der die Schrift verkehrt, der Wiedergeburt und Heiligung verwechselt und vermengt. Das Auge des Bußfertigen und Weinenden ruhe auf dem Gekreuzigten, wie das Auge des von Schlangen gebißenen Israeliten auf der ehernen Schlange. Von dem Gekreuzigten weiche kein Auge: dorthin flüchte sich die gescheuchte Seele, dorther kommt Ruhe und Stärke. Dorthin flüchte sich, was nicht sterben will; dort fließt Leben: wer will, kann es erfahren. Der Gekreuzigte ist Leben und alles neue Leben der Menschen ist in seinem Anfang Glaube an Ihn und kein Fortschritt des neuen Lebens ist ohne Glauben!


 Geliebte Brüder! Wir feiern heute das Dankfest für die Offenbarung der allerheiligsten Dreieinigkeit, weshalb wohl mancher wünscht, es möchte statt des eben abgehandelten ein anderer Text verlesen und erklärt worden sein, der von der Dreieinigkeit an ihrem Feste auch etwas spräche. Und allerdings, der heute verlesene Text, so herrlich er ist, ist doch kein Text, welcher für dieses Fest gewählt worden ist, sondern ein Pfingsttext, welcher, wie bei allen hohen Festen des Kirchenjahres, am achten Tag die Feier beschließt und kräftig besiegelt. Er wurde auch zum Beschluße des Pfingstfestes viel eher gebraucht, als man ein Dreieinigkeitsfest zu feiern begann. Denn dieß Fest ist im Vergleich mit dem Alter anderer Feste noch jung und wird nicht viel über fünfhundert Jahre begangen; dagegen wurde dieß Evangelium am Sonntag nach Pfingsten schon in viel früheren Zeiten gelesen. Man könnte sich darüber wundern, daß bei Einführung des Dreieinigkeitsfestes nicht auf die Wahl eines andern Evangeliums Bedacht genommen wurde. − Indes möchte es doch, auch wenn man ein anderes hätte wählen wollen, schwer geworden sein, ein solches zu finden, welches die Dreiheit der Personen und die Einheit des göttlichen Wesens so ausgesprochen hätte, wie die Kirche, vom heiligen Geiste unterwiesen, beides lehrt. Die Lehre der heiligen Kirche von der heiligen Dreieinigkeit ist allerdings in der heiligen Schrift fest gegründet; die kirchliche Beweisführung für diese Lehre ist unwiderleglich und es heißt dem Menschen seinen ewigen Grund untergraben, wenn man ihn an dieser Lehre irre zu machen sucht. Es ist ja unleugbar, daß in der Schrift drei Personen, Vater, Sohn und Geist, deutlich unterschieden,

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 008. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/347&oldid=- (Version vom 1.8.2018)