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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

daß einer jeden göttliche Eigenschaften und göttliche Werke zugeschrieben werden, daß eine jede mit göttlichem Namen verehrt wird. Und eben so unleugbar ist es, daß die heilige Schrift behauptet, es sei nur ein einziges göttliches Wesen. Soll nun die Schrift nicht gebrochen werden, soll beides wahr sein, soll es drei göttliche Personen und doch nur Ein göttliches Wesen geben, so bleibt nichts übrig, als der Schluß des Glaubens: Also sind diese drei Personen Ein Wesen, also ist dieß Eine Wesen in drei göttlichen Personen. Wer in aller Welt, der die Schrift nicht Lügen strafen, der ihren Verfaßern nicht die thörichtsten Widersprüche aufbürden will, kann diesem gewaltigen Schluß des Glaubens entgehen; wer kann, wer darf sich ihm entziehen? Es ist ein Schluß, wie es in der Welt keinen zweiten gibt, wie ihn nur der heilige Geist die Kirche lehren konnte, ein Schluß göttlich kühner Kraft und Weisheit, den zu machen die von Gott gelehrte Seele sich im Staube freut, den wir gegenüber allen Widersachern, zum Trotz der ganzen Hölle, zur größten Ehre der allerheiligsten Dreieinigkeit machen; aber die vier Evangelien, so sehr sie die gläubige Seele zu dem Schluße zwingen, sprechen ihn doch nirgends selber aus, so wie es die Kirche thut, und wir lesen nirgends in ihnen Worte, wie die: „Drei sind, die da zeugen im Himmel, der Vater, der Sohn und der heilige Geist, und diese drei sind Eins.“ Vielleicht unterblieb schon deshalb die Wahl eines neuen Festevangeliums. Und ich denke, meine Freunde, es darf uns nicht gereuen, den alten Text voll Geruch und Erinnerung der Pfingstzeit behalten zu haben: er ist − so wie auch die herrliche Epistel des Tages zwar in anbetender Ferne von der heiligsten Lehre stehen geblieben, aber er lehrt uns doch Gedanken, welche die schönste Anwendung auf unser Fest zulaßen.

 Unser Evangelium redet von der Wiedergeburt unsrer Seelen, betheuert uns deren Möglichkeit, zeigt auf das Waßerbad hin, durch welches sie vollzogen wird; aber wie der Geist durch Waßer die Wiedergeburt bewirke, davon spricht es nicht. Die Wiedergeburt empfangen und ihre Kraft im Kampfe des Lebens täglich mehr erfahren, das wird uns als vollkommen genügender Beweis für sie gesetzt, als Beweis, zu dem ein jeder gelangen kann, und welcher alle andern überflüßig macht: begreifen, wie Gott in uns wirkt, das ist uns verweigert und verwehrt. Aehnlich ist es mit der Lehre von der allerheiligsten Dreieinigkeit. Sie steht wie wir bereits vernommen, unerschütterlich fest auf den Gründen göttlicher Worte; sie wird uns geoffenbart, auf daß wir wißen, wer Gott sei und wie wir Ihn anbeten sollen; aber die Möglichkeit, die Art und Weise, wie drei Personen Ein Wesen, wie Ein Wesen in drei Personen und in einer jeden ganz und vollkommen sein könne, − diese wird uns verhüllt und alles, was wir davon und dafür sagen können, steht an Werth hinter dem anbetenden Schweigen frommer Seelen weit zurück. Nicht zum Begreifen, sondern zu wahrhaftiger Anbetung Gottes dient uns die hohe Lehre von dem dreieinigen Gott, und wir lernen sie kennen, auf daß die Liebe Gottes, des Vaters, die Gnade unsers HErrn JEsu Christi und die Gemeinschaft des heiligen Geistes uns dreifach stark zu dem Einen Gotte ziehe und wir in desto unauflöslicherer Liebe mit ihm verbunden seien.

 In der Unbegreiflichkeit des Wie erinnert also der Inhalt unsers Textes an den Gegenstand unserer Festfeier, an die Offenbarung der allerheiligsten Dreieinigkeit. Es ist aber noch etwas aus dem Texte auf dieses Fest anzuwenden. Der HErr nennt in unserm Evangelium die Wiedergeburt ein irdisches Ding und redet sodann von himmlischen Dingen, welche weit über die irdischen Dinge, die er zuvor gemeint, also auch weit über die Wiedergeburt erhaben seien. Meine Brüder, was sollen wir zu den himmlischen Dingen rechnen, wenn nicht vor allen das Geheimnis der allerheiligsten Dreieinigkeit? Ohne Zweifel dachte man an diese Verweisung Christi von den irdischen auf die himmlischen Dinge, als man das alte Pfingstevangelium für das Dreieinigkeitsfest behielt. Bei aller Bewunderung des Geheimnisses, in welchem der Christ lebt, nemlich der Wiedergeburt, fühlte man doch, wie weit erhaben über unsere Wiedergeburt die Offenbarung eines dreieinigen Gottes ist. Anbetend blieb man vor dem Allerheiligsten stehen, − man fühlte seine Kleinheit und sein Nichts und doch auch wieder, daß dieß Anbeten aus der Ferne, diese unsre kleine Erkenntnis des Vaters, Sohnes und Geistes eine Wonne mit sich führt, deren kein Mensch theilhaftig werden kann, der nicht wiedergeboren ist. So ist es − besonders mit Rücksicht auf den gesunkenen Zustand des Christentums unserer Tage − in der That eine große Weisheit zu nennen, daß man bei dem alten Pfingsttexte blieb, der an das

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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 009. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/348&oldid=- (Version vom 1.8.2018)