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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

um Vergängliches ausgeschlagen und das Einzige, was ewig bleibt, schnöde von sich gewiesen hat! In der That, ein Grauen vor einem solchen Ergehen überfällt mich. Ich greife prüfend in mein Inneres und seh euch, meine Brüder, sorgend und fragend an, ob doch unter uns keiner ist, der gleich den Geladenen um des Weges willen das Ziel versäumt hat oder noch versäumt? Eine warnende Stimme ergeht an uns alle und mächtig schrecke uns von jedem Selbstbetrug das Wort auf: „Ich sage euch, daß der Männer keiner, die da geladen sind, mein Abendmahl schmecken wird!“ Sie wolltens nicht schmecken, da sie an zeitlichen Gütern genug hatten; so sollen sies nicht schmecken, auch wenn sie darben und darnach hungern; das ist ihre Strafe − und die werde nur niemals die unsrige!


 Damit sie nicht die unsrige werde, damit wir, die Genöthigten, nicht einerlei Urtheil mit den Geladenen empfangen, so laßt uns des Rufes achten, den wir so völlig unverdienter Maßen empfangen. Die Ladung geschah durch Propheten, die Berufung, die Hereinführung zum Mahle, die Nöthigung geschah zuerst durch die Apostel, Propheten und Evangelisten des neuen Testamentes, gegenwärtig geschieht sie durch Aelteste, Hirten und Lehrer, also freilich durch Männer von ungleich geringerer Würde als in den ersten Zeiten. Nicht wenig Menschen ärgern sich an dem geringeren Ansehen derjenigen, welche jetzt berufen, und glauben, apostolischen Männern habe man weit leichter glauben, ihrer Botschaft sich weit leichter hingeben können. Allein sie befinden sich doch in einer gefährlichen Versuchung, aus welcher sie Gott, der HErr, durch das Licht Seines heiligen Geistes erretten wolle. Nicht zu erwähnen, daß auch die Berufenden der ersten Zeit ihren Zeitgenoßen nicht so sehr und hoch erschienen, wie sie wirklich waren und hernachmals erkannt worden sind, haben sie doch auch dem Inhalt nach keine andere Berufung gebracht als wir armen Aeltesten, Hirten und Lehrer, und was ihre göttliche Beglaubigung anlangt, so war sie zwar außerordentlicher, in die Sinne fallender, aber die unsrige ist nicht minder außer Zweifel und alles Zutrauens werth, sintemal auch uns der heilige Geist gesetzt hat, zu weiden die Gemeine Gottes, welche er durch sein eigenes Blut erkauft hat. Der HErr hat am Ende nur ein einziges Amt zur Berufung der Welt gestiftet und alle Unterschiede, welche unter seinen Boten jemals Statt hatten oder noch haben, sind doch nicht so groß, als die Einheit und Einigkeit, welche unter allen ist. Um derselben willen sagt auch der HErr im Evangelio nicht von Knechten, die er zur Berufung der Welt ausgesendet habe, sondern von Einem Knechte, von dem Knechte. Alle Seine Diener sind vor Ihm wie Ein Mann und sollten es auch vor den Augen der Menschen sein. Die Menschen sollten nicht auf die verschiedene Würde der Berufenden sehen, sondern auf den Einen göttlichen Auftrag, den sie haben, auf die Berufung. Man sollte nie den Knecht verachten, den man hört, und eines andern warten, sondern sich das Wort gesagt sein laßen: „Heute, so ihr Seine Stimme höret, verstocket euer Herz nicht!“ Es thut den Knechten Gottes weh, wenn sie mit ihrer Friedensbotschaft kalt von den Thüren gewiesen werden; aber ihr persönliches Wehe ist das Geringste, Gott tröstet sie wieder. Hingegen daß die Menschen, welche Gottes Knechte von den Thüren weisen, damit die himmlische Berufung abweisen, das Abendmahl der Zeit und eben damit das ewige Abendmahl versäumen, sich um die Gnade Gottes bringen, verloren gehen sollen und werden, − das, das, ja das ist schlimm, sehr schlimm, das ist ein unüberwindliches Wehe für die abgewiesenen Knechte hier und für die Abweisenden selber mindestens dort in der Ewigkeit. Deshalb wiederhole ich es und zwar mit möglichstem Nachdruck: Man sollte keinen Knecht verachten, der zum Abendmahl ruft! Jeder sollte dem Rufe deßen Gehorsam leisten, den er hört, damit er nicht mit dem Knechte auch die Zeit versäume, die ihm für seine Berufung zugemeßen ist.


 Von dieser Zeit der Berufung und ihrer Dauer, habe ich euch, meine Freunde, ehe wir schließen, noch etwas zu sagen. Für die Welt im Allgemeinen dürfen wir annehmen, daß die Zeit der Berufung dauern werde bis ans Ende und bis zur Wiederkunft des HErrn. Der HErr fristet das Alter der Welt in keiner andern Absicht, als in der, noch vielen Tausenden die Stimme Seiner Berufung und damit Seiner Gnade kund werden zu laßen. Was die Einzelnen anlangt, so haben wir Ursache genug, zu versichern, daß ihrer einem jeden die Stimme der Berufung

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 021. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/360&oldid=- (Version vom 1.8.2018)