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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

so wohl gefällt, was ihnen zur andern Natur geworden ist, dieß Richten, dieß Hofmeistern, dieß Gernelehren als einen mächtigen Balken im eigenen Auge erkennen, der ihnen gefährlich und zugleich das bedeutendste Hindernis ist, im Segen zu wirken, was sie gerne wirken möchten. Bei wem das Lehren Leidenschaft ist, der ist zum Lehren verdorben! Schade, Spott und Hohn wartet seiner; die dem Lehrer nöthige Ruhe fehlt bei allem vorhandenen Eifer allzusehr, als daß man Gedeihen hoffen und Zutrauen gewinnen könnte. „Lieben Brüder, warnt der heilige Jakobus, unterwinde sich nicht jedermann, Lehrer zu sein, und wißet, daß wir desto mehr Urtheil empfahen werden.“ Und St. Paulus macht das heilige Amt der Bischöfe oder Aeltesten so sehr von der fortschreitenden Vollendung der Bischöfe und Aeltesten selbst abhängig, daß man es wohl schon darum ein „köstliches“ Werk nennen könnte, weil es so viel kostet, so theuer und hoch zu stehen kommt. Man sollte sich hüten, unberufen zu lehren oder andere weisen und leiten zu wollen, man sollte auf Selbsterkenntnis allen Fleiß verwenden, um Selbsterkenntnis, gegen Selbstbetrug ohn Ende beten, mit allem Ernste nach Selbstverläugnung, nach Eingang durch die enge Pforte ringen, aus der Heiligung Leibes und der Seelen des Lebens Hauptgeschäfte machen. Da würde man klein werden und demüthig, da würde man mit sich selbst so viel zu schaffen bekommen, daß alle Lust vergienge, andere zu richten und zu hofmeistern, und wenn man zuweilen Aufforderung und Beruf bekäme, andere zu tadeln und auf sie sittlich einzuwirken, so würde es nicht an Barmherzigkeit fehlen, weil man sich zu sehr von der göttlichen Barmherzigkeit abhängig fühlte, als daß man bei allem Lehren, Vermahnen, Zurechtweisen, Richten oder was es sei, das Wort vergeßen könnte: „Seid barmherzig, wie euer Vater im Himmel barmherzig ist.“ Ja, ja, darauf kommt es an, daß man sein eigenes Elend erkenne, in täglicher Buße und Erfahrung göttlicher Barmherzigkeit stehe. So zieht man den Balken aus dem Auge, so genest das Herz von Unbarmherzigkeit, das Auge vom fahlen, scharfen Blick auf andere; mit dem Herzen wird das Auge rein, des Nächsten Fehl zu sehen, man will nur mehr sein Heil, man wird einfach in seinem Streben und in seiner Liebe, frei von Heuchelei, und darf mit seiner Seelensorge getrost vor das Auge Gottes treten, man wird treu erfunden werden, und der HErr wird an dem Maße der Vergeltung zur Zeit, da es Noth thut, nichts mangeln laßen. − Unser Elend zeige uns, o HErr! Unsere Sünde vergib uns nach Deiner Barmherzigkeit! Offenbare uns Deine Barmherzigkeit und laß uns dann barmherzig sein zu Deinem Preise! Amen.




Am fünften Sonntage nach Trinitatis.

Evang. Luc. 5, 1–11.
1. Es begab sich aber, da sich das Volk zu Ihm drang, zu hören das Wort Gottes und Er stand am See Genezareth, 2. Und sahe zwei Schiffe am See stehen; die Fischer aber waren ausgetreten und wuschen ihre Netze: 3. Trat Er in die Schiffe eines, welches Simonis war, und bat ihn, daß er es ein wenig vom Lande führete. Und Er setzte sich und lehrete das Volk aus dem Schiff. 4. Und als Er hatte aufgehöret zu reden, sprach Er zu Simon: Fahre auf die Höhe und werfet eure Netze aus, daß ihr einen Zug thut. 5. Und Simon antwortete und sprach zu Ihm: Meister, wir haben die ganze Nacht gearbeitet und nichts gefangen; aber auf Dein Wort will ich das Netz auswerfen. 6. Und da sie das thaten, beschloßen sie eine große Menge Fische und ihr Netz zerriß. 7. Und sie winkten ihren Gesellen, die im andern Schiff waren, daß sie kämen und hülfen ihnen ziehen. Und sie kamen und fülleten beide Schiffe voll, also, daß sie sunken. 8. Da das Simon Petrus sahe, fiel er JEsu zu den Knieen und sprach: HErr, gehe von mir hinaus; ich bin ein sündiger Mensch. 9. Denn es war ihnen ein Schrecken angekommen und alle, die mit ihm waren, über diesen Fischzug, den sie mit einander gethan hatten; 10. Desselbigen gleichen auch Jacobum und Johannem,
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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 034. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/373&oldid=- (Version vom 1.8.2018)