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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

die Söhne Zebedäi, Simonis Gesellen. Und JEsus sprach zu Simon. Fürchte dich nicht; denn von nun an wirst du Menschen fahen. 11. Und sie führeten die Schiffe zu Lande und verließen alles und folgten Ihm nach.


 AM See Genezareth steht der HErr. Von den Bergen, welche rings den See umgeben, kommt ein unzähliges Volk, das nach dem Worte Gottes hungert; − am Ufer stehen zwei leere Schiffe, die Schiffer sind ausgetreten, stehen im Waßer und waschen ihre Netze, welche die Nacht über vergeblich ausgeworfen und schmutzig geworden waren; die Schiffer haben Mangel an zeitlicher Nahrung. Zum Herzen des gütigen und barmherzigen Heilandes spricht also ein gedoppelter Mangel, der geistliche Mangel des herzuströmenden Volkes und der leibliche jener Schiffer. Wem wird nun der HErr helfen? Welche Noth wird Ihm mehr zu Herzen dringen? − Nicht die, welche vielen Barmherzigen dieser Welt als dringender vorgekommen sein würde, sondern die Seelennoth der sich um Ihn her sammelnden Menge. Die hungrigen Leiber müßen warten, die hungrigen Seelen werden zuerst gespeist. Erst muß der himmlische Beruf an die Menge ergehen, ehe der irdische Beruf der Fischer seinen Segen empfängt. Die Fischer müßen ihr Misgeschick vergeßen, ihre leibliche Noth bei Seite schieben, ihrer Seelen Bedürfnis ins Auge faßen, sich unter die Hörer mischen und hören, ihren Seelenhunger, welcher, wie hernach erschien, wie der HErr voraus erkannte, in der Tiefe ihrer Seele auf Speisung wartete, vor dem leiblichen Mangel stillen laßen.

 Daraus geht hervor, daß die Noth der Seele, obschon sie durch Gewohnheit vom Mutterleibe an weniger gefühlt wird, in den Augen Gottes dennoch größer ist, als die gefühltere und empfindlichere Noth des Leibes. In Gottes Augen ist es also, aus dem Evangelio ist es gleichfalls leicht darzustellen, es wird auch im Allgemeinen so angenommen und zugestanden; aber wenn einer in den Fall der Fischer kommt, wenn er von Leibesnoth bedrängt ist und ihm die gemeingiltige Behauptung, daß seine Seelennoth größer sei, vorgehalten und er ermuntert wird, vor allen Dingen für seine Seele zu sorgen: da sträubt sich das Herz wider die längst beschworene Regel und man merkt in der Schule der Erfahrung, wie schwer es sei, wenn die irdische Hütte drückt, an der Seelen Heil zu denken. Da gilt es ein gelehriges, selbstverleugnendes, geduldiges, im Glauben starkes Herz. Ach da gibts Seufzen und Klagen − und nur selten sind die edlen, demüthigen und doch hochgemuthen Heldenseelen, die, treu dem himmlischen Berufe, die zeitliche Qual mit Freuden tragen und zufrieden sind, wenn es ihnen nur ewig glückt. Und doch ist in der Verleugnung alles Zeitlichen ein süßerer Trost, als man denken mag, und wer ihn einmal genoßen, kann sein nie vergeßen, verlangt auch im Strome von Gott geschenkten, irdischen Glückes zurück nach ihm.

 Lernet, theure Brüder, lernet Verleugnung dieser Welt, lernets für euch, euch zum Frieden, lernet es auch für andere, die euer Beispiel lehren soll, daß die Seelennoth und Seelensorge so viel größer sei als Leibesnoth und Leibessorge, als die Seele über den Leib erhaben ist an Werth. Wenn nirgend solche Menschen erscheinen, aus deren ganzem Wandel ersichtlich ist, daß man dem Heile der Seele leben könne: so kommt die Menge auf den Gedanken, es sei nicht möglich, im schmerzlichen Weh des zeitlichen Lebens dem Heile der Seele nachzutrachten, und sie überläßt sich dann, im Innern ungestraft und ohne Unruhe, desto ungezügelter der Lust und dem Schmerze dieser Welt. Wenn hingegen hie und da einmal Menschen ersehen werden, die für den Himmel leben und mitten im Leid und in der Wonne dieser Welt den Einen Gedanken behalten und ihm Raum geben können, daß sie hier keine bleibende Stadt haben, sondern die zukünftige suchen; so wird manch anderer auch auf die Gedanken gebracht, die so heilsam sind, und heilige Beispiele fröhlicher Weltentsagung erwecken Nachfolge, helfen manches Herz von den Banden der Erde losreißen und dem Himmel zukehren. Das beachtet, liebe Brüder! Es ist ja doch nur Anfechtung und Täuschung, wenn die Leibesnoth größer erscheint als die Seelennoth; der Versucher will die Himmelssorge nicht aufkommen, nicht siegen laßen, will das Herz in Erdennoth ersticken, damit es ewig unglückselig werden möge!


 Unser Evangelium erinnert uns an einen doppelten zeitlichen Beruf: Fischefahen, Menschenfahen. Beide

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 035. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/374&oldid=- (Version vom 5.7.2016)