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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

kann dann auch gar keine Rede davon sein, heilige Mildigkeit zur Lebensaufgabe zu machen: man hat Gottes Mildigkeit nicht erfahren, also auch nicht aus dem Brunnen getrunken, der mild und versöhnlich macht. Solche Menschen lieben die, von denen sie glauben geliebt zu werden; alles ist persönlich und nur in Beziehung auf die eigene Person wird die ganze Welt genommen. Glaubst du, daß Menschen dieser Art ohne Beleidigung bleiben? Sie bilden sich tausend Mal ein verletzt zu werden; aber sie werden es auch wirklich, sie fordern ihre Nebenmenschen dazu heraus, es kann niemand mit so stolzen Heiligen in Verbindung bleiben und im Frieden. Drum haben sie immer Ursache zu zürnen, zu grollen, zu schelten − und ihr „Racha“ und „du Narr“ quillt unermüdlich aus ihrem Munde. Ist das Glück? Das Glück kann jeder entbehren, und es ist keinem zu gönnen! Es ist das Glück des Pharisäers, der seine äußerliche Gerechtigkeit aufzurichten trachtet − und seine Zeit, sein Leben an die Behauptung wagt, daß sie hinreiche, Gottes und der Menschen Wohlgefallen zu erringen. Es ist ein Glück, bei deßen Betrachtung man sich wünscht den Trost zu haben, daß es sich nur selten finden möchte. Es ist aber nicht selten, und wir haben es nicht zu sehr ins Schwarze gemalt. Seine Qual ist viel reicher und manchfaltiger und wer Augen hat, zu sehen, kann es auf allen Gaßen finden. Warlich, dies Glück ist eine schwere Strafe und zugleich ein überaus sündiges Uebel, von dem billig geschrieben steht, daß es nicht ins Himmelreich komme, sondern in den ewigen Kerker geworfen werde, aus dem keine Erlösung ist.

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 Wie ganz anders steht es da mit der beßeren Gerechtigkeit, die uns Christus offenbart. Sie ist selbst ein Segen und wird gesegnet bis zum Ausgang aus der Zeit und überschwänglich in der Ewigkeit. Sie ist keine Frucht pur menschlicher Bemühung; sie kommt auch mit keinem in die Welt und ist keine natürliche Gabe, die wie andere Gaben schon von Mutterleib an denen beiwohnt, welche sie besitzen. Sie ist eine übernatürliche Gabe des heiligen Geistes, vom Vater in Christo JEsu verheißen, vom Sohne am Kreuze erworben, vom Geiste zugleich mit der Vergebung der Sünde dem Herzen eingesenkt. Aus der Erfahrung der göttlichen Erbarmung und der Vergebung unserer Sünden wächst sie empor. Sie wird dem Menschen gegeben, welcher den Vater in Seiner unergründlichen Güte kennen lernt und von ihr ergriffen, selber gütig und heilig werden will. Demüthig ruht ein solcher im Verdienste Christi, munter und muthig ringt er vorwärts, dem ähnlich und ähnlicher zu werden, den er geschaut und erkannt hat als einen Vater der Barmherzigkeit. Ob er schon mit St. Paulo (Röm. 7.) genug zu kämpfen hat und ein ander Gesetz in seinen Gliedern sich wider das Gesetz regt, das in seinem Gemüthe ist; so dient er doch auch wie St. Paulus mit seinem Geiste aufrichtig dem HErrn, seinem Gotte, − sein Herz verdammt ihn nicht, er vollendet seinen Lauf mit Freuden und kämpft den guten Kampf im Frieden. Ich habe in meinem Texte weniger Anlaß, die Herrlichkeit des guten Gewißens auszulegen, welches ein Mensch hat, der gerecht in JEsu, sich alles Rechtthuns befleißigt; der Text veranlaßt mehr, von dem traurigen, unglücklichen Zustande eines pharisäisch Gerechten zu reden. Aber das kann in der Kürze versichert werden, daß ein frommer Christ, der nach Gerechtigkeit hungert und dürstet, deßen Leben ein Beweis ist, daß er von Gott angenommen wurde, und eine treue Uebung heiliger Liebe zu Gott und zu den Nächsten − mit St. Petrus zu reden, reichlich findet den Eingang in das ewige Reich. Es ist ein großer Triumph, wenn ein Schächer noch am Kreuze bekehrt und mitten aus der Hölle Flammen eingebracht wird zu der ewigen Ruhe. Aber der Triumph ist doch größer, wenn eine Seele heimfährt, die ihres Glaubens Gerechtigkeit in heiligen Werken bewiesen und die Gerechtigkeit gefunden hat, von welcher unser Text spricht. Da heißt es nicht bloß: „Selig sind die Todten, die im HErrn sterben,“ nicht bloß: „der Geist spricht, daß sie ruhen von ihrer Arbeit,“ da kommt auch ein Lob der Werke ihrer Arbeit, da werden die Werke würdig erfunden, mit hinaufzugehen vor den Thron des HErrn, da heißt es: „Ihre Werke folgen ihnen nach!“ Es sei ferne von uns allen, zu rühmen, denn allein von dem Kreuz unsers HErrn JEsu Christi; aber zum Kreuzesbaume gehören seine Früchte − und die heilige Gerechtigkeit des Lebens, die wir allein in Christo JEsu finden, darf nimmermehr vergeßen werden, wenn wir vom Segen des Kreuzes reden. Es ist alles Seines Schweißes und Blutes, uns gebührt keine Ehre als von uns selbst, aber in Ihm, in Christo, − gibt es,

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 043. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/382&oldid=- (Version vom 5.7.2016)