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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

wirklich apostolische Lehre ist, daß wir mit unseren Gebeten und Lobsängen und Almosen Gott opfern. Achte nur beim Lesen der apostolischen Briefe darauf, du wirst es finden, wirst mir aber dann auch recht geben, daß der angeführte Textesspruch für dich und alle Christen hoch verbindlich sei. Schon an deinem Hausaltar solltest du ohne ein versöhntes Herz nicht opfern; geschweige am Versammlungsort der Gemeine, wo alle zu denselben Opfern sich vereinigen. Es sollte dich jedes Vaterunser, jedes Gebet der fünften Bitte zur Versöhnung treiben. Gar nichts zu sagen von dem heiligen Mahle, wo wir nicht allein opfern, sondern wo wir zu einem Opfermahle des Lammes Gottes vereint sind, wo wir Opfergaben empfangen und eßen und trinken, wo wir das Fleisch und Blut, das am Kreuze aufgeopfert und im Himmel dargebracht, durch welches aller Welt Friede bereitet und der Gesang der Engel über der Krippe: „Friede auf Erden“ erfüllt ist, zur Besiegelung der göttlichen Vergebung und des himmlischen Friedens dahinnehmen. Ach, meine Freunde, wir können nicht beten: „Vergib uns unsre Schuld“ ohne hinzuzusetzen: „wie wir vergeben unsern Schuldigern“; − und wir wagens, zu zürnen, und doch die fünfte Bitte zu beten? Wir hören aus JEsu Munde: „So ihr euern Brüdern nicht vergebet ihre Fehle, wird euch Mein himmlischer Vater auch nicht vergeben“: und wir können die Absolution und Vergebung unsrer Sünden fordern, ohne daß wir uns zur Versöhnung mit unsern Freunden und Nachbarn getrieben fühlen? Das Abendmahl ist ein Mahl der göttlichen Versöhnung, was wir da eßen und trinken, sind Friedensopfergaben, Leib und Blut des Friedefürsten, der sich selbst geopfert hat am Holze, auf daß wir alles Zornes ledig würden: und wir können kommen, ohne unsern Groll und Grimm und Zorn wegzuwerfen, ohne Gott und Menschen abzubitten? Es ist unbegreiflich, es ist schauderhaft, wie viel der Mensch, der Staub, der Sünder gegen Gott wagt, wie er seine Seele und Seligkeit aufs Spiel setzt, wie er ohne Furcht und Glauben an den Opfern der Gemeine und am Sacramente Theil nimmt! Glaubte er wirklich, daß Gott sei, er würde so nicht freveln. Fürchtete er Gott, er würde Seinen Zorn nicht wagen!

 Ach, es werde doch einmal anders unter uns! Auf was harren wir noch? Es will Abend werden und der Tag neigt sich. Das Leben verraucht. Jeder Tag führt näher zum Richterthrone. Noch bist du mit deinem Widersacher auf dem Wege. Wenn er vor dir stürbe und dich bei Gott verklagte, Unversöhnlicher! Wenn du vor ihm hingerißen würdest und Gottes Gerechtigkeit dich selbst anklagte? Es ist nicht Zeit zu zaudern. Hörst du nicht, wie JEsus dich drängt: „Sei willfertig deinem Widersacher bald!“? Würde er drängen, wenn es Zeit hätte? Eile und errette deine Seele, ehe dich der Widersacher dem Richter, der Richter dem Diener übergibt und du in den Kerker geworfen wirst, aus dem du nicht entrinnen wirst, weil du nicht den ersten, geschweige den letzten Heller deiner Sündenschuld abtragen kannst in Ewigkeit!

 Meine Freunde! Ich erachte mich nicht für einen Redner, sondern für einen Prediger. Ich rede was mir befohlen ist und habe es nicht auf eure bloße Unterhaltung abgesehen. Es ist mein Amt, daß ich rede. Ihr habt das heutige Evangelium vernommen; es ist klar und deutlich. Ihr habt vernommen: was ich armer Mensch zu dem Worte hinzugesetzt habe, um euch Ohr und Herz für die göttliche Gewalt der Stimme JEsu zu öffnen. Ich warne euch vor Leichtsinn, ehe ich von der Kanzel gehe: es ist mit dem heutigen Evangelium nicht Spiel noch Spaß zu treiben; es ist hoher Ernst. So ihr Solches wißet, selig seid ihr, so ihrs thut. Ja, selig seid ihr in eurer That, wenn ihr mit dem Entschluße von hinnen geht, Frieden zu stiften. Gesegnet seien die Füße, welche den Pfad des Friedens betreten! Gesegnet die Hände, welche die Hände der Feinde ergreifen, um Hand in Hand mit heiliger Treue zu fügen! Gesegnet, dreimal gesegnet seien, die Frieden schließen, allen Zorn abschließen und ihm niemals wieder Pforte und Eingang öffnen! Amen.




Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 045. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/384&oldid=- (Version vom 5.7.2016)