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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

auch die Waßerquelle nicht zu nahe, nicht sehr reichlich. Am Tage ist kein Obdach gegen den Sonnenbrand, in der Nacht keines gegen den Frost, am Morgen keines gegen den träufelnden Thau. Auch ist hier kein Sitz, kein Lager außer dem grünen Gras − und viele Hunderte und Tausende in unsern Tagen würden deshalb auch eines solchen dreitägigen Aufenthalts bei JEsu gar nicht fähig gewesen sein. Warum fühlten sich denn nun die viertausend Mann so wenig beschwert? Warum bringen sies über das Herz, Familie, Arbeit und alles drei Tage lang allein zu laßen und unter Entbehrung und Mangel bei dem HErrn zu bleiben? So sehr zog sie das Wort des HErrn an. Sie erfuhren es an ihrem Theil, daß der Mensch nicht lebt allein vom Brote, sondern von einem jeglichen Worte, das aus dem Munde Gottes geht. Sie schmecken die Kräfte der zukünftigen Welt, die durch den Mund JEsu auf sie kommen und werden durch sie unabhängiger von irdischen Bedürfnissen; der Geist wird HErr über den Leib, und sie merken es deshalb kaum, daß er entbehrt. Freunde, ihr habt auch schon Zeiten gehabt, wo ihr vor Ueberschwang der Seelen weder Speise, noch Trank bedurftet. Ihr wißt es, daß große Freude, tiefe Traurigkeit oft alle Lust zu zeitlicher, leiblicher Nahrung vertreibt. Warum soll also, wer recht von den vollen Tischen des Wortes Gottes gegeßen und getrunken, nicht auch der Speise eine Weile misachten und sich mit wenigem begnügen können? Es gibt unter uns nicht viele, die sich des Wortes freuen können, wie man sich großen Glückes freut; aber die es können, können auch die vier Tausende begreifen, deren innern Seelenzustand man gar nicht zu überschätzen braucht, um anzunehmen, daß sie Himmelsfreuden vom Munde JEsu sogen. Er predigte ja nicht wie die Schriftgelehrten, sondern gewaltig, und sicherlich wie keiner vor und keiner nach Ihm.


 Ob sie es aber nicht doch übertrieben haben, die viertausend Mann? Sie konnten es ja anders einrichten, weniger auffällig ihre Lust an Christi Wort beweisen. Sie konnten kommen und rechtzeitig gehen und wiederkommen. Auch war ja der HErr im Lande und zog hin und her, und das Land war nicht so gar groß, daß man nicht, wenn es die Geschäfte und Verhältnisse erlaubten, öfter auf kürzere Zeiten und Fristen sich bei Ihm hätte einstellen können. Nicht wahr, meine Freunde, eine nüchterne Sprache? Setzet aber dazu: eine unerträgliche, die Sprache eines liebeleeren, trägen Herzens. So ungefähr lautete die Sprache der Jünger, da sie die Salbe reute, die jenes Weib, welches man segnen soll, auf den Leib des HErrn goß. Es muß nicht immer alles recht alltäglich und nach jedermanns Sinn hergehen, um recht zu sein. Ich erlaube mir, das obige armselige Reden gar nicht zu widerlegen. Ich will zuversichtlich und kurzab die vier Tausend loben und sprechen: Recht haben sie gethan − und dem müßen alle frommen Herzen zufallen. Wenn sie unrecht gethan hätten, hätte sie der HErr getadelt, sie von Sich gewiesen. Wo steht aber davon ein Wort, wo ist von so etwas eine Spur? Gerade umgekehrt! Der HErr läßt sie machen, läßt sie alles über Seinem Worte vergeßen, läßt sie hungrig werden, so hungrig, daß sie verschmachtet wären, wenn Er sie hätte ohne Hilfe gehen laßen. Als sie aber genug bewiesen hatten, wie sehr ihnen die Freude Seines Wortes über alle Speise und über alle Gemächlichkeit des Lebens gieng; da gibt Er ihnen einen auffallenden Beweis Seiner Liebe und Seines Wohlgefallens durch die wunderbare Speisung. Er hat ein Auge und ein Herz voll Mitleid für alles, was dem Menschen, der für sein himmlisches Verlangen Stillung sucht, auf diesem Weg begegnen mag, − und wer aufrichtig und redlich für seine Seele sorgt, dem hilft Er, selbst wenn Er ihm in Betreff der Art und Weise seiner Seelsorge manches zu verzeihen hätte. Seht nur in den Text und leset! Ausdrücklich bezeugt der HErr den vier Tausenden Sein Mitleid. „Mich jammert des Volks, spricht Er, denn sie haben nun drei Tage bei Mir verharret und haben nichts zu eßen, und wenn Ich sie ungeßen von Mir ließe heimgehen, würden sie auf dem Wege verschmachten.“ Daraus ziehe ich zur Ermunterung aller, die ihr Seelenheil suchen, und zum Troste aller, die auf dem Wege ihrer Seelsorge etwas zu leiden bekommen, den starken Schluß, daß es dem HErrn wohlgefiel und wohlgefällt, so oft ein Mensch mit Hintansetzung mancher irdischen Rücksicht das sucht, was ihm ewig nützen kann.


Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 047. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/386&oldid=- (Version vom 17.7.2016)