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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

will ich meine Stimme aus dem Evangelium noch verstärken. Es ist nicht bloß das ganze Evangelium eine Warnung vor den falschen Lehrern, nicht bloß der ganze Inhalt ist als Warnung zu verstehen, nein, es enthält auch die allerförmlichste, deutlichste Warnung und Aufforderung zur Prüfung. „Sehet euch vor vor den falschen Propheten, die in Schafskleidern zu euch kommen.“ Das ist der Eingang unsres Evangeliums. Wer kann sich dem entziehen, ohne Christo ungehorsam zu werden, ohne es geradezu mit der Rotte der Feinde des Reiches Gottes zu halten? Alle Knechte Christi haben es je und je mit der Prüfung der Geister genau genommen. Wie eifert St. Paulus! Und wie eifern die Briefe Petri und Judä gegen falsche Lehrer, welche gewaltige Warnungen enthalten sie! Ich will gerne zugeben, daß einer aus eigener Unwißenheit, aus Unkunde der Schrift, aus Schwachheit die Prüfung und Unterscheidung der Geister unterlaßen kann, und ich mag einen solchen nicht strenge richten. Aber wenn er belehrt ist, wenn er das „Sehet euch vor“ des HErrn und die gewaltigen Episteln nur z. B. Petri und Judä, oder auch Johannis gelesen hat, und dann noch unter dem Scheine der Liebe sich der Pflicht der Unterscheidung entziehen und andere, die gewißenhafter handeln, verdächtigen kann, dann habe ich Muth und gutes Gewißen genug, ihn einen Heuchler zu nennen und einen Gesellen der verkappten Wölfe, vor denen Christus warnt. Es gilt Seelenverführung, da ziemt sich Ernst und Vorsicht. Die Worte des HErrn vom faulen Baum und vom Feuer, das sein wartet, − Seine Erzählung aus dem Verlaufe des jüngsten Gerichtes, welches Er voraus sieht und kennet, die erschrecklichen Worte: „Ich hab euch nie erkannt, weichet alle von Mir, ihr Uebelthäter!“ zeigen klar und offen, daß den HErrn bei Seiner Warnung der heiligste Ernst durchdrang, daß Ihm falsche Lehrer sehr verhaßt sind. Warum sind sie Ihm aber so verhaßt, als weil sie Seine Schafe verderben? Was gibt Ihm also den großen Haß ein gegen die Wölfe, als die Liebe zu den Schafen, als Sein Eifer gegen Verführung und Verderbnis der Seelen? Wer wie der HErr gesinnt ist, unterscheidet die Wölfe, warnt vor ihnen, flieht vor ihnen! Wer das nicht thut, eigne sich Seine Worte zu: „Wer nicht mit Mir sammelt, der zerstreuet!“ aber von Liebe rede er nicht. Er hat keine Liebe zu Christo, denn er ist nicht gesinnt wie Er. Er hat keine zu Christi Schafen, weil er ihnen das Auge vor den Wölfen schließen will, weil er dem Satan und seinen verkappten Wölfen das Spiel erleichtert. Er hat keine Liebe zur eigenen Seele, weil er selbst auf die Warnung Christi nicht achtet und damit sich selbst allem Betrug der Wölfe übergibt. Nicht einmal den falschen Lehrern thut er wohl, weil er nur hilft, ihr schreiendes Gewißen zu betäuben und sie desto unaufhaltsamer dem Satan und seiner ewigen Hölle zuzuführen. Weit entfernt also, daß Gleichgültigkeit rücksichtlich falscher Lehrer mit Liebe bestehen könne, ist sie vielmehr ein Zeichen, daß man aller Liebe baar und ledig sei.


 Steht es so, so dürfen wir uns wohl ändern und Fleiß auf die Unterscheidung der Lehrer wenden. Nun ist es aber gewis, daß eine Gemeinde, die nicht auf JEsu Worte hört, von Ihm nicht denken und urtheilen lernen mag, unmöglich richtig zwischen Lehrern und Lehrern unterscheiden kann. Ein solche mag urtheilen, wie sie will, so ist ihr Urtheil, so schädlich es ihr selbst etwa werden mag, dennoch jeden Falls von keinem Belang. Man muß ja, um zu meßen, einen Maßstab haben, und der wird weder mit einem Menschen geboren, noch wird er von einem menschlichen Geiste ohne höhere Leitung gefunden. Er liegt in Gottes Wort, das ihr alle lesen könnet, und das auf Befragen gute Antwort gibt. Die fragenden, suchenden, betenden Seelen finden ihn leicht. Eine Gemeinde, die nicht fragt, sucht, um Erleuchtung betet, findet ihn gewis nicht; wie sie ihn von Natur nicht hat, so wird er ihr auch von Gott nicht gegeben. Um Dinge von so hoher Wichtigkeit muß man sich bemühen und Zeit und Kraft nicht bereuen, die man darauf wendet. Ist es dir einerlei Ding, wie es um deinen Prediger stehe, so ist es dir auch einerlei Ding, wie es um dich stehe; denn ganz ohne Einfluß bleibt ein Prediger auf keinen Menschen, der ihn lange hört, und gleichgiltige Seelen saugen am Ende doch auch das ein, was ihnen täglich ums Ohr schallt. Darum lege man vor allen Dingen die Gleichgiltigkeit ab, denn die Gleichgiltigen bekommen die Gabe der Unterscheidung nicht, und die Wahrheit leuchtet nur in fragende, sehnsüchtige, offene Gemüther. Das sagte ich euch, meine Freunde, um euch zum Forschen nach den

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 053. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/392&oldid=- (Version vom 17.7.2016)