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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

und Confessionen keine Ungerechtigkeit walten, keine Unbilligkeit. Sehet nicht auf einzelne Fehler; der beste Baum bringt zuweilen eine verkrüppelte Frucht. Seht nicht auf die Zahl und Menge der Früchte, oft ist Eine Frucht mit viel mehr Mühe, unter viel mehr erschwerenden Umständen zu Tage gefördert, als sonst tausend. Seht auf des ganzen Lebens Lauf und Zug und Richtung, und laßt euch an dieser nicht schwachmüthig irre machen, wenn irgend eine augenblickliche Unterbrechung oder Krümmung sich zeigt. Es ist nicht an euch, Lehrer zu richten oder zu verdammen nach ihren einzelnen Werken, und Confessionen nach vorhandenen Mängeln und Gebrechen zu urtheilen; sondern nur daran liegt es, daß ihr erkennet, welchem Lehrer, welcher Confession ihr ohne Seelenschaden anhangen könnet. − „Sehet euch vor,“ rufe ich euch am Ende noch einmal mit JEsu zu, und wenn ihr auf mich selber die Augen prüfend richten wollet, so sei mirs angenehm und lieb, und je ernster ihrs nehmet, desto größere Freude wird es mir sein, wenn ihr mich JEsu treu erfindet und alsdann meinem Hirtenstabe folget, wohin er euch in Christo JEsu leitet! − Der HErr sei gnädig uns allen! Amen.




Am neunten Sonntage nach Trinitatis.

Evang. Luc. 16, 1–9.
1. Er sprach aber auch zu Seinen Jüngern: Es war ein reicher Mann, der hatte einen Haushalter; der ward vor ihm berüchtigt, als hätte er ihm seine Güter umgebracht, 2. Und er forderte ihn und sprach zu ihm: wie höre ich das von dir? Thue Rechnung von deinem Haushalten; denn du kannst hinfort nicht mehr Haushalter sein. 3. Der Haushalter sprach bei sich selbst: was soll ich thun? Mein HErr nimmt das Amt von mir; graben mag ich nicht, so schäme ich mich zu betteln. 4. Ich weiß wohl, was ich thun will, wenn ich nun von dem Amt gesetzt werde, daß sie mich in ihre Häuser nehmen. 5. Und er rief zu sich alle Schuldner seines Herrn, und sprach zu dem ersten: wie viel bist du meinem Herrn schuldig? 6. Er sprach: Hundert Tonnen Oels. Und er sprach zu ihm: Nimm deinen Brief, setze dich, und schreib flugs funfzig. 7. Darnach sprach er zu dem andern: Du aber, wie viel bist du schuldig? Er sprach: Hundert Malter Waizen. Und er sprach zu ihm: Nimm deinen Brief, und schreib achtzig. 8. Und der Herr lobte den ungerechten Haushalter, daß er klüglich gethan hätte. Denn die Kinder dieser Welt sind klüger, denn die Kinder des Lichts in ihrem Geschlecht. 9. Und ich sage euch auch: Machet euch Freunde mit dem ungerechten Mammon, auf daß, wenn ihr nun darbet, sie euch aufnehmen in die ewigen Hütten.

 DAs sechszehnte Kapitel des Evangeliums Lucä steht im strengen Zusammenhang mit dem fünfzehnten, deswegen der heutige Text in strengem Zusammenhang mit dem vom dritten Sonntage nach Trinitatis. Der HErr hatte im 15. Cap. St. Lucä die Zöllner, die sich zu Ihm gedrängt und Ruhe ihrer Seelen bei Ihm gesucht hatten, gegen die selbstgerechten und doch so neidischen und unbarmherzigen Pharisäer in Schutz genommen. In den Gleichnissen vom verlorenen Schafe, vom verlorenen Groschen, vom verlorenen Sohne hatte Er frei Seine Liebe zu den Verlorenen und Wiedergefundenen bezeugt und allen armen Sündern eine weite Thür der Gnade geöffnet. Damit nun aber ja kein Pharisäer und kein Zöllner auf den Gedanken kommen möchte, als sorge der HErr bloß für die Seligkeit der armen Sünder, als sei Ihm deren Heiligung gleichgiltig, wendet Er Sich vor den Augen und Ohren der Zöllner und der Pharisäer zu Seinen Jüngern und spricht Sein Gleichnis vom ungerechten Haushalter, welches, durch scharfe Wahrheit demüthigend, so wie durch Ermunterung zum Guten tröstlich, mit doppelter Gewalt in die Seelen der armen Sünder drang und ihnen die dringende Nothwendigkeit, aber auch die Möglichkeit der Heiligung tief ins Gedächtnis prägte.

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 057. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/396&oldid=- (Version vom 17.7.2016)