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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

ist Undank. − Uebrigens ist es eine Sache, welche sich von selbst versteht, daß auf dieses Gedächtnis des Guten der Spruch Anwendung leidet: „Weß das Herz voll ist, deß geht der Mund über“. Schon im Sprachgebrauch ist „das Gedächtnis“ und „gedenken“ nicht bloß eine Sache des Herzens, sondern auch des Mundes; es ist etwas ganz Gewöhnliches, gedenken und erwähnen, Gedächtnis und Erwähnung gleichbedeutend zu gebrauchen. Die Größe und Liebe der Wohlthat mit Worten preisen, ist einem dankbaren Herzen natürlich, das Gegentheil unnatürlich. Ja, es ist der Dank eine solche Herzensfülle, daß er, wie das Blut, aus dem Herzen in alle Glieder des Leibes und von diesen wieder zurückströmt. Leib und Seele danken, wenn Dank vorhanden ist, − dem gesammten Verhalten eines Menschen wird es abgemerkt, wo es aus Dank hervorgeht. So preist der dankbare Samariter Gott mit dem Munde, − und seine Füße eilen zum Helfer, seine Kniee, sein Angesicht beugt sich vor Ihm in den Staub, und es ist kenntlich, daß ihn der Dank regiert. Der Undankbare ist von dem allen das Gegentheil, wie man an den Neunen sieht. Da ist nichts im Gedächtnis des Herzens, nichts auf den Lippen, nichts im Benehmen als Leere, Vergeßenheit. Man fühlt sich versucht mit dem Propheten von den undankbaren Neunen zu sprechen: „Ein Ochse kennt seinen HErrn, und ein Esel die Krippe seines HErrn, aber Israel kennt’s nicht und mein Volk vernimmt’s nicht“ (Jes. 1, 3.); denn die Thiere haben ein Gedächtnis für Wohlthat, wie man tausend und aber tausend Beispiele hat; aber Menschen, ach Menschen gibt’s, denen mangelt, was dem Vieh nicht mangelt, − Gedächtnis für Liebe und Wohlthat, Dank!

 2. Schon das, was wir bereits gesagt haben, erweckt in unsern Seelen eine große Werthschätzung des Dankes und einen Abscheu vor dem Undank. Die gleiche Schätzung, den gleichen Abscheu, beide nur in verstärktem Maße, finden wir auch bei dem HErrn. Vor Seinen Augen ist der dankbare Samariter sehr wohlgefällig. Das erkennt man aus einem doppelten Umstand, erstens weil der HErr zu ihm spricht: „Stehe auf, gehe hin, dein Glaube hat dir geholfen“ − und zweitens weil Er, nach deßen vorbedachtem Rath und Willen die heilige Schrift entstanden ist, dafür gesorgt hat, daß dieses Beispiel der Dankbarkeit zum immerwährenden Zeugnis in das ewige, unvergängliche Buch eingezeichnet würde. − Wir mögen die Worte: „Stehe auf etc.“ nehmen, wie wir wollen, das ist gewis, daß sie kein Misfallen, sondern jeden Falls ein unverholenes Wohlgefallen Gottes aussprechen. Denn was sagen sie anders, als: Stehe auf − liege nicht länger zu meinen Füßen; Ich habe den Sinn deines Thuns erkannt und deinen Dank angenommen. Gehe hin − nicht länger versäume den Weg zu den Deinen, welchen deine Genoßen in der Genesung längst vollendet haben, geh hin und freue dich mit den Deinigen, deine Freude ist gesegnet, eine Freude im HErrn. Dein Glaube hat dir geholfen − d. i. du hast den rechten, lebendigen Glauben. Dein Glaube faßte die göttliche Hilfe und bringt nun die gute Frucht des Dankes, solcher Glaube, wie deiner, welcher nicht todt sein läßt im Guten, hilft wohl aus Nöthen. Das alles spricht doch die Zufriedenheit des Richters aller Welt mit dem Verhalten des Samariters aus. Wie herrlich ist also der Dank, den Gottes Wohlgefallen schmückt! Die glänzendste Krone auf dem Haupte des Samariters wäre so schön nicht, als das Wohlgefallen des HErrn. Ja das Wohlgefallen des HErrn ist ein Heiligenschein ums Haupt des Samariters, vor welchem Abendstern und Morgensonne erbleichen. Und dieses Wohlgefallen spricht sich (ich wiederhole und betone) am unverkennbarsten auch darin aus, daß der HErr den Augenblick, da der dankbare Samariter zu Seinen Füßen lag, durch Sein heiliges Wort allen Zeiten unaustilgbar vor die Augen malte. Wenn man eine That in vielen tausend Menschenliedern besänge, so würde sie sammt diesen Liedern, sammt allen ehernen Gedenktafeln und Monumenten, die sie hätte, an jenem großen Tage doch nur in ewiges, stummes Schweigen versinken; dagegen wird dann erst, wenn Himmel und Erde untergegangen, im Lichte erscheinen, was für ein ewiger Ruhm die Erzählung seines Dankes für den seligen Samariter sein wird.

 Indes muß doch das Wohlgefallen des HErrn sich aus dem Wesen der Dankbarkeit, wie sie oben geschildert ist, von selbst rechtfertigen. Die inwendige Herrlichkeit des Dankes muß der äußern Herrlichkeit derselben entsprechen. Das Gedächtnis des Herzens für empfangenes Gute muß mit der rechten Grundstellung des Herzens zu Gott innigst verwandt und

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 088. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/427&oldid=- (Version vom 24.7.2016)