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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

Darum rede ich nun einiges von der Ursache, welche wir zum Danke gegen Gott haben. Die Aussätzigen verdankten dem HErrn ihre Reinigung und das war gewis nichts Kleines, sie hatten Ursache genug zum Danke. Der Aussatz war eine Krankheit, welche nicht allein sehr langwierig, sondern in den meisten Fällen unheilbar war. Er war so ansteckend, daß, wer damit behaftet war, und wäre er ein König, wie z. B. Usia, gewesen, aus dem Lager oder Wohnort seiner Familie entfernt wurde und in Einsamkeit sein Leben vertrauern mußte. Wer einen Vater oder Mutter, ein Weib, ein Kind etc. hatte, mußte sie ferne von sich treten sehen. Er hatte Verwandte und keine. Es galt hier in einem besonderen Sinne das Wort: „Die da Weiber haben, als hätten sie keine.“ Vielleicht waren die Aussätzigen Familienväter, ihren Geschäften, der Verwaltung ihres Hauswesens durch ihre Krankheit entzogen. Vielleicht waren sie zum Theil alternde Leute, die ein jammervolles Ende in Aussicht hatten. Ich erwähne das alles, nur um zu beweisen, daß JEsus den Aussätzigen keine geringe Wohlthat erzeigte, da Er sie heilte, daß große Ursache zu danken da war. Vergleichen wir nun uns mit ihnen, so werden auch unter uns manche sein, welche vom HErrn aus schweren Krankheiten errettet worden sind. Wie viele unter uns haben vielleicht schon oft die Behauptung ausgestoßen, daß niemand so, wie sie, geplagt sei! Wie manche vielleicht waren mit Krankheiten behaftet, die sie selber für unheilbar hielten, von denen sie nie wieder frei werden zu können glaubten! Wie viele, wie unzählig viele Leiden und Plagen gibt es in der Welt! Ach, der Plagen sind mehr, als Menschen sind! Und doch wird von der Hand des HErrn uns eine Plage nach der andern abgenommen, eine Krankheit nach der andern geheilt, eine Wohlthat nach der andern zugewendet; so daß wir, wenn wir auch nur das Irdische ansehen, vieltausendfache Ursache zum Danke haben und mit dem Samariter uns nicht einmal vergleichen dürfen, − sodaß, wenn wir Gott den Dank versagen, wir uns eines schwärzeren Undanks, als die Neune schuldig machen! − Was für ein Undank aber ist es erst, den wir uns aufladen könnten, wenn wir das Gedächtnis für Seelenwohlthaten, für ewige Güter verlören! Den zu beschreiben, gäbe es keine Worte. Ich will nicht auf die Schöpfung unserer unsterblichen Seele hinweisen, nicht auf den ersten Artikel unsers Glaubensbekenntnisses. Ich erinnere euch aber an die Krippe zu Bethlehem, an den Garten Gethsemane, an den Blutschweiß des Allerheiligsten, an Seine Bande, Seine Versöhnung, Seine Schläge, an den Speichel Seines Angesichtes, an die Striemen und Wunden der Geißelung, an die Dornenkrone auf dem heiligen Haupte, an die Kreuzeslast auf Seinem, Seinem Rücken, an die Schmerzen der Kreuzigung und am Kreuze, an die Schmerzen Seines zerfleischten, ausgespannten, bluttriefenden Leibes, an die Aengsten und Schmerzen Seiner Seele, an Sein Sterben, an Sein Auferstehen, an die Ueberwindung der Hölle. Ich erinnere euch an die Absicht aller dieser Kämpfe und Siege; es war keine andere, als uns zu nützen, wo uns niemand, als ER allein, nützen konnte, − es war nur Liebe, heilige, göttliche, unaussprechliche Liebe! Ich erinnere euch an die Frucht Seiner Leiden − sie ist gereift, nämlich die Möglichkeit, trotz aller Sünden selig zu werden, die Gewisheit, daß Gott in Christo reumüthige Sünder annimmt, daß wer in Christo zu Ihm kommt, in Seinem ewigen Hause eine ewige Wohnung finden soll. Ich erinnere euch an die Mittel, durch welche unsre Seelen nicht allein mit der geschehenen Erlösung bekannt gemacht, sondern auch mit ihren Kräften erfüllt, für ihren Genuß befähigt und bereitet, mit ihm gesegnet, in und zu demselben behalten und bewahrt werden: es sind lauter freundliche, gütige Mittel des Wortes und Sacramentes. Ich erinnere euch an die Langmuth und Geduld, mit welcher euch Gott die Mittel, selig zu werden, nicht allein gewährt, sondern auch nachtragen und allezeit, so wie auf allen Wegen und Stegen anbieten, euch zur Annahme vermahnen, ja bitten, so flehentlich bitten läßt, als wollt ER euch nicht geben, sondern nehmen. Ich erinnere euch an die mancherlei Fügung und Schickung, durch welche ihr von Gott im Genuß der Welt irre gemacht werden sollet, durch welche ihr derselben satt und überdrüßig, nach ewigen wahren Gütern sehnsüchtig und für die Gnadenmittel empfänglich gemacht werden sollet. Red’ ich da etwa von Kleinigkeiten? Sind ewige Wohlthaten nicht mehr werth, als zeitliche? Was ist denn eine, seis auch die wunderbarste Heilung des Leibes gegen die Erlösung der Seele, gegen ihre Reinigung und Heiligung, gegen ihre Theilnahme an einem ewigen und unvergänglichen Heile? Die Aussätzigen

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 090. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/429&oldid=- (Version vom 24.7.2016)