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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

was für ein schädlicher Saame Gottes Kinder seien.

 In solcher listigen Freundlichkeit und Versuchung verharren die Kinder der Welt. Offenbar war die Frage JEsu: „Ists auch recht am Sabbath heilen?“ zu ihrem Heile gemeint. Sie hätten irre werden sollen an ihrer Meinung, sie hätten merken sollen, daß sie durchschaut waren, sie hätten für das, was der HErr ferner that, ein aufrichtiges, vertrauensvolles Herz bekommen sollen. Wenn sie keine Antwort auf die Frage JEsu gegeben hätten; so hätte doch die Ursache ihres Schweigens nur Schaam sein sollen. Aber sie schwiegen und ihr Schweigen war ein verhärtetes, schaamloses Schweigen. Sie wollten nichts sagen, sie waren nur auf JEsu Thun gespannt, − heilen sollte Er den Waßersüchtigen, das wollten sie, dann war Er offenbar ein Sünder, über dessen Thun keine Frage mehr zu erheben war. So verhärtet macht der Eifer fürs Böse den Menschen fürs Gute, so blind macht er ihn, daß er offenbare Wunder nicht mehr bemerkt, so taub, daß er Gottes liebevolle Sprache nicht versteht, so empfindungslos, daß er mit keinem Elend und mit keiner Gottesthat und Hilfe zur Empfindung und Ahnung Gottes gebracht werden kann. JEsum sahen die Pharisäer gerne fallen, für Ihn hatten sie Wünsche genug, nemlich daß Er verderben möchte − dieser blutgierige Fanatismus aber kleidet sich in ihnen in Freundlichkeit und lauerndes, stummes Harren.

 Ein Bild der Welt. Ihre Meinungen sind ihr über alle Zweifel erhaben. Gottes Wort ist ihr ein Wahn. Wer es annimmt, wird ihr zur Pestilenz der Erde, den rottet man aus, dem gräbt man Gruben, dem bedeckt man die Gruben, vor deßen Augen kleidet man das arge Herz in Freundlichkeit − und unter den lächelnden Lippen verbirgt man Otterngift, schweigend, nie gerichtet und nie geirrt eilt die fanatische Welt dem Ziele der Blutschuld zu. Ach, wie viele Beispiele bietet die Geschichte der Religion, der Völker, der Städte, Dörfer und einzelner Menschen! Ach, wehe, daß es so viele Beispiele finstern, haßenden Eifers für die falsche Lehre gibt!

 Wie wohl thut es einem da, den Eifer für die Wahrheit in JEsu und Seinen Jüngern kennen zu lernen. Siehe, wie redlich und aufrichtig, ohne Falsch gleich den Tauben und doch voll Klugheit der HErr unter die verschmitzte Rotte tritt. Er kennt den, welcher Ihn einlud, Er durchschaut ihn und seine Gäste, Er weiß, was der Waßersüchtige zu bedeuten hat, Er ahnt nicht bloß, Er sieht schon, was man will; daß man Ursache, an Ihn zu kommen sucht, das ist Ihm klar, daß man Ihn zum Gastmahle ladet, um Ihn da das Gift, daran Er sterben soll, auch Selbst bereiten zu laßen, − daß Er mitten in der Räuberhöhle ist und daß die Hölle durch diese freundlich lauernden Pharisäeraugen Ihn anblickt, das alles, das ganze Geheimnis der Bosheit ist vor Ihm ein aufgeschlagenes Buch. Wie ein Lamm Gottes tritt Er unter die Wölfe dieser Welt, wohlwollend und erkennend, daß der Fürst dieser Welt „kommt und hat Nichts an Ihm.“ Warum bleibt Er nicht weg? − Weil ER sich nicht fürchtet, weil ER nichts zu fürchten hat, weil die Wahrheit und der König der Wahrheit unangreiflich sind und von den Teufeln der Hölle nicht überwunden werden können, weil ER siegen, Kohlen auf ihre Häupter sammeln, Licht in ihre Finsternis werfen, todte Seelen erwecken und Leiber der Kranken mit Genesung segnen − durch Wunder beweisen will, daß des Menschen Sohn ein HErr ist auch über den Sabbath. Unschuldig, arglos, fröhlich, muthig, lächelnd ohne Falsch tritt ER unter Seine Feinde und fragt: „Ists recht, am Sabbath heilen?“ Dumpfe Stille statt Antwort mehrt seinen Eifer, − nicht mit Worten mehr, mit einer gewaltigen redenden That predigt Er ihnen und heilt vor ihren Augen in Einem Augenblick den Kranken. Sie haben, was sie wollen! Er hat gefehlt nach ihrem Wahn. Er hat, was Er will: Sein Licht, Sein Leben, Seine Liebe, Seine Hilfe ist kund geworden − und der Sabbath ist geheiligt! − So hat Ers immer gemacht! Sie haben oft auf Ihn gelauert und Er hat, ungeirrt von ihrem Geifer, Sein Werk vollführt. Er hat mit Weisheit ihre Klugheit, mit Güte ihre Bosheit überwunden. So ists geschehen am Ende − sie wollten, daß Er stürbe, − Er wollte es auch, Er starb, auf daß Er zur Herrlichkeit eingienge und Seine Glieder Sich nachzöge. Die Hölle ist eifrig und der HErr ist eifrig; aber weß Eifer behält den Sieg, der Eifer deßen, der scheinbar unterliegt, oder deßen, der scheinbar siegt? Gelobet sei der HErr − und gesegnet sind alle, die Ihm nachfolgen! Gesegnet ist die heilige Kirche, welche durch alle Jahrhunderte angefochten, verfolgt und doch im Siege gewesen ist! Die kein Blut vergoß als ihr eigenes

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 106. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/445&oldid=- (Version vom 24.7.2016)