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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

um JEsu und Seiner Wahrheit willen, die nicht wieder schalt, wenn sie gescholten wurde, nicht dräuete, wo sie litt, sondern ihren Eifer durch Demuth und Treue bewies! O laß uns Deine Jünger und Deiner Kirche Glieder sein!

 3. Wohl können wir aus dem Gesagten erkennen, was der Eifer für falsche und reine Lehre sei, welch ein böser Same die falsche, welch ein heiliger Same die reine Lehre sei. Nur allzu lange haben wir davon geredet. Aber wir wollen nun falsche und reine Lehre noch mehr an den Ausnahmen erkennen, die sie machen.

 Wenn man nach dem Gemeinsamen in der Lehre des HErrn und der Pharisäer vom Sabbath fragt (denn da sie beide das dritte Gebot anerkannten, so wird etwas Gemeinsames doch jeden Falls anzunehmen sein); so wird äußere Ruhe am Sabbathtage dem HErrn, wie den Pharisäern gemeinsame Lehre gewesen sein. Der HErr wird äußere Ruhe und Freiheit von den Dingen dieser Erde um des Wortes willen, als eine Bedingung, ohne welche diesem die nöthige Aufmerksamkeit nicht geschenkt werden konnte, verlangt haben, − also äußere Ruhe um des Menschen und seines Heiles willen, wie sie auch jetzt noch für den von der Kirche gewählten Feiertag in Anspruch zu nehmen ist. Der HErr wird äußere Ruhe um der Schwachheit des Menschen willen, der, wenn er Zeitliches besorgt, mehr auf dieses, als auf das Göttliche die Seele richtet, gefordert haben. Ganz anders die Pharisäer: sie verlangten völlige, arbeitslose Ruhe um des Tages willen, sie sahen die Ruhe nicht als eine Bedingung zur Heiligung des Tages durch das Wort an, sondern als die rechte Art der Heiligung selbst. Der Buchstabe des Gesetzes, nicht die Absicht des Gesetzgebers leitete sie in ihrem Thun. Daher auch die verschiedenen Ausnahmen.

 Die Auffaßung der arbeitslosen Ruhe als Heiligung des Sabbaths ist eine äußerliche, wie sie der Mensch, auch der unbekehrte, gerne hat. Von äußerlichen Dingen ruhen kann ein Mensch auch durch eigene Kraft, durch Ausübung angeborener Macht über seinen Wandel. Auch ein Bösewicht kann äußerlich ruhen. Der Jude, welcher sich in Unglauben verhärtet, hält auf seinen Sabbath, ohne im Geringsten gebeßert zu werden. Auch unter den Christen gibt und gab es Ehebrecher, Mörder, Diebe, Betrüger etc., die alle äußerlichen Ordnungen des Sonntags und des Gottesdienstes festhielten und beobachteten, und beobachten wie ihr das selbst wißet. Aber sie thun das nur bis auf einen gewissen Punkt. Kommen sie bei dem an, so ist es zu Ende mit ihrem Formenwesen. Wißet ihr, wo dieser Punkt ist? wie der heißt? Der heißt Eigennutz. Wenn ein Ochse oder Esel in den Brunnen fällt am Sabbathtage, da bricht auch der Pharisäer den Sabbath. Umkommen darf nichts. Ja, wenn Ochse oder Esel auch nur in Gefahr kommen, das reicht völlig hin, um Gottes Wort und der Seelen Heil zu vergeßen und für den Ochsen und Esel zu sorgen. Wenn man aus Erbarmen über das Vieh seinen Gottesdienst versäumte, das gienge noch an; aber so ist es der leidige Eigennutz. Man treibt sein Vieh auf die Weide zur Betstund-Zeit, zur Christenlehrzeit, zur Predigtzeit; man „kann schier nicht anders“, das muß sein!! Man lebt zum Theil vom Vieh, so muß man auch seinen Sabbath mindestens theilen zwischen ihm und Gott. Also der Eigennutz, der macht Ausnahmen und darf sie machen, seiner Meinung nach. Er macht sie auch nicht bloß beim Vieh, sondern wenn sonst etwas zu gewinnen ist, so streckt man seine Hand darnach aus und läßt Gottes Wort unangefochten sein, was es ist, nur daß man es weder thut noch hört. − Ach, wie viele einzelne Fälle könnte man da erzählen! Man erinnere sich an die Wirthe, die, auch gegen weltliche Gebote, unter den Gottesdiensten und Christenlehren ihre Nahrung suchen, − die den Sonntag feiern, aber bloß, wenn sie zur Kirche kommen, deren Häuser, Dienstboten und Kinder nichts vom Sabbath im Hause inne werden, sondern Gottes Wort in den Wind schlagen lernen, sobald es geredet ist! Man denke an die Handwerker, welche durch Eigennutz den Sabbath zu brechen sich selbst die Erlaubnis geben, − Arbeit austragen, Arbeit fertig machen, Arbeit anfangen, sich selbst hetzen und treiben, daß sie auch zu Hause an Gottes Wort nicht denken können! Man denke, man denke − ach, an was nicht alles, an wie viele, von euch selbst zu erkennende und zu strafende Beispiele zu der Behauptung, daß Pharisäer den Sabbath heiligen, so weit es ihr Eigennutz gestattet. Denn der, ja der ist ein Herr und Meister ihres Lebens.

 Ganz anders ist es bei dem HErrn. ER ist gewohnt, wie die Apostel ausdrücklich bezeugen, in die

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 107. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/446&oldid=- (Version vom 24.7.2016)