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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

Das wußte Er, aber Er begehrt unter diesen Narren keine Ehre, sondern Er predigt ihnen von der Klugheit des Untenansitzens, weil sie von der Demuth des Untenansitzens nichts begreifen. Er öffnet ihnen den Blick in ihre Herzen − und mit einem weißagenden Weheruf über die, welche sich selbst erhöhen, ohne Ursach, in Eitelkeit, − nimmt Er Besitz vom jüngsten Platze, Er setzt Sich hin, wohin Er nach Seiner heiligen Demuth als Stellvertreter und Sündenträger der Welt freiwillig allezeit und in allen Stücken trat. ER machte Sich ganz zur Sünde, weil ER unsre Rechtfertigung beabsichtigte. Ja, Du, Du bist nicht allein bei dem Gastmahle des Pharisäers sondern auch vor dem Gerichte Deines Vaters der gewesen, der Sich Selbst erniedrigt hat! Du hast Dich erniedrigt bis zum Tode, bis zum Tode am Kreuze, bis zum Tode unter Missethätern! Darum bist Du aber auch erhöhet zur Rechten des Vaters. Deine Niedrigkeit und Deine Hoheit, Deine Demuth und Deine Herrlichkeit beweisen für Deine Lehre, Deine Gesetzauslegung, Deinen Eifer, Deine Ausnahme. Du sprichst mit Recht auch in diesem Sinne: „Lernet von mir, denn ich bin sanftmüthig und von Herzen demüthig!“ Ihm, Brüder, sollen wir ähnlich werden in der Demuth. Unsere Demuth ist freilich von JEsu Demuth verschieden. Er liebt das Niedrige und Demüthige in unserm Namen; wir aber haben uns nicht um fremder, sondern um eigener Sünden, um eigenen Unwerths willen zu demüthigen. Unsre Sünden sind so groß, daß uns Rühmen und Rangstreitigkeit vergehen sollte! Wir sollten im Gefühle unsrer Sünden vor Gott so klein stehen, daß wir eine Erniedrigung vor Menschen leicht ertrügen, daß es uns um Platz und Ehre nicht mehr zu thun wäre. Ach, wir sollten uns, weil wir vor Gott so niedrig sind, auch selbst gern demüthigen, uns gern erniedrigen. Dann würde uns die Gnade bis zum Stuhle JEsu erhöhen, bis zu einem Platze, welchen die eigene Gerechtigkeit des Menschen, selbst des neugeschaffenen Adams nimmer finden kann. Bleiben wir auf unsern erträumten Höhen, in unserer lügenhaften Verläugnung der Sünde und Erdichtung eigener Gerechtigkeit, so bleiben wir ferne von rechter Lehre, rechtem Liebeseifer, rechter Höhe − sinken von Sünd in Sünde und endlich in die Hölle. Aber den Demüthigen gibt Gott Gnade − und aus Gnaden Licht, Liebe, ewiges Leben und einen Platz an JEsu Tischen beim ewigen Abendmahl! − − JEsu, JEsu, dahin hilf mir und allen Christen in der Welt, insonderheit dieser Gemeinde! Amen. Amen.




Am achtzehnten Sonntage nach Trinitatis.

Evang. Matth. 22, 34–46.
34. Da aber die Pharisäer höreten, daß Er den Sadducäern das Maul gestopft hatte, versammelten sie sich. 35. Und Einer unter ihnen, ein Schriftgelehrter, versuchte Ihn, und sprach: 36. Meister, welches ist das vornehmste Gebot im Gesetz? 37. JEsus aber sprach zu ihm: Du sollst lieben Gott, deinen HErrn, von ganzem Herzen, von ganzer Seele, und von ganzem Gemüth. 38. Dies ist das vornehmste und größeste Gebot. 39. Das andere aber ist dem gleich: Du sollst deinen Nächsten lieben als dich selbst. 40. In diesen zweien Geboten hanget das ganze Gesetz und die Propheten. 41. Da nun die Pharisäer bei einander waren, fragte sie JEsus, 42. Und sprach: wie dünkt euch um Christo? Weß Sohn ist er? Sie sprachen: Davids. 43. Er sprach zu ihnen: Wie nennet ihn denn David im Geist einen Herrn, da er sagt: 44. „Der HErr hat gesagt zu meinem HErrn: Setze dich zu meiner Rechten, bis daß ich lege deine Feinde zum Schemel deiner Füße?“ 45. So nun David ihn einen HErrn nennet, wie ist er denn sein Sohn? 46. Und niemand konnte Ihm ein Wort antworten, und durfte auch niemand von dem Tage an hinfort Ihn fragen.

 DAs heutige Evangelium stellt uns dar

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 109. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/448&oldid=- (Version vom 24.7.2016)