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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

aber es fehlt auch nicht an Mitteln, den Gegensatz geringer oder doch angenehm zu machen, und es begegnet dem betrachtenden Geiste in ihnen ganz ungesucht eine Menge fruchtbarer Gedanken. Allein eine genauere Betrachtung unsers heutigen Festevangeliums heilt uns doch von dem Gedanken, als wäre es dürftig. Das ist ja Gottes Wort nie, und es ist eine Art von Lästerung, es in Bezug auf irgend eine Stelle desselben zu behaupten. Es ist wahr, das gestrige Evangelium ist voll großer Gottesthaten, das heutige ist nicht so; aber dafür lehrt es uns am Beispiel der Hirten eine schöne Anzahl stiller, für das innere Leben der Gemeine wichtiger Weihnachtsgedanken. Billig erzählen die Evangelien an den ersten Tagen der drei hohen Feste Gottes große Thaten, und es ist in der Ordnung, diese ersten Tage ganz der Beschauung der großen Thaten Gottes zu weihen. Aber es soll ja auch zur Anwendung kommen mit dem, was Gott gethan, und wenn wir also gestern den Lebensbaum Christus haben prangen sehen, so sollen wir doch nun auch seiner Früchte theilhaft werden. Da passt es so ganz, mit den Hirten heute nach Bethlehem zu gehen, und zu thun, was sie gethan haben. Laßt uns die stille Nachfeier nicht verachten, die wir nun anstellen, und die Gedanken mit Freuden aufnehmen, die uns dieß heilige Evangelium bietet. Möge es in uns Weihnachten werden, indem wir sie aufnehmen.

 Ihr erinnert euch, meine Freunde, an ein Wort des gestrigen Evangeliums, welches der Engel zu den Hirten sagte, − an die vom Engel gegebene Weisung: „Ihr werdet Ihn finden, in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegend.“ In unsrer gestrigen Betrachtung fand dieß Wort keine Stätte; mit dem heutigen Evangelium dagegen steht es im engsten Zusammenhang. „Ihr werdet Ihn finden,“ sagt der Engel. Darin liegt ein Befehl, Ihn zu suchen, also nach Bethlehem zu gehen und zu schauen, was gepredigt ist. Wie nun die Hirten den Befehl ausgeführt haben und was sich an ihren Gehorsam anschloß, das eben erzählt unser Evangelium.


 Der Engel predigte den Hirten von der Geburt des HErrn, und die Predigt fand bei den Hörern Glauben. Das ist das Erste, was wir erwähnen wollen. − Wir können an den Hirten nicht den leisesten Zweifel warnehmen, daß, was sie gesehen und vernommen haben, in der That eine himmlische Erscheinung und Offenbarung, also vollkommene Wahrheit gewesen ist. Kein Wort verlieren sie, um erst darüber ins Reine zu kommen, ihr Glaube steht fest und darum wird er schnell eine Quelle entsprechender Werke. Zuerst wirkt er in ihnen den Entschluß, die Heerde zu verlaßen und nach Bethlehem zu gehen, und der Entschluß kommt zur schnellen Ausführung, wie das die Schrift ausdrücklich bezeugt.

 So ist es mit dem Leben von oben her: es zündet, und wenn es gezündet hat, brennt es immer fort und nimmt nicht allein das Herz ein, sondern regiert auch den ganzen Leib und das ganze Leben. Trägheit hört auf, wo die Predigt ihr Werk gethan hat; ein heiliges Bewegen und sich Regen nach dem Befehl des HErrn beginnt, ein brünstiges Verlangen, Gott zu schauen, erfüllt die Seele und das Leben wird ein Nahen zu ihm. Man will dann schauen, aber wie die Hirten: nicht aus Mangel an Ueberzeugung, daß man Gottes Wort vernommen, sondern weil es so des Glaubens Art ist, zum Schauen vorwärts zu dringen, weil es der Wille Gottes ist, daß der Glaube im Schauen sein Ende und seiner Zuversicht Vollendung finden soll, daß der Glaube aufhören, das Schauen ewig währen soll.

 Wir haben alle die Geschichte von dem neugeborenen Christus vernommen; wir zweifeln nicht, daß sie wahr sei; wir haben glaubwürdiger, göttlicher und menschlicher Zeugnisse genug. Aber wer, der mit rechtem Glauben die Predigt von der ersten Zukunft Christi vernommen hat, sollte nicht nach der ewigen Heimat verlangen, wo man mit dem Auge der erlösten Seele den menschgewordenen Gottessohn seliglich schauen darf, − nicht nach der zweiten Zukunft des HErrn, wo auch die Augen unserer Leiber trunken werden sollen von dem Anschauen Deßen, den wir mit Armen des Glaubens schon hier umfaßt haben? Das ganze Leben eines jeden Gläubigen ist ein Gang nach Bethlehem, denn es ist nichts anders als ein Gang vom Glauben zum Schauen. Die Hirten sind hierin ein allgemeines Vorbild der Gläubigen.


 Der freudige Glaubensgehorsam der Hirten wurde gesegnet und belohnt; der HErr leitete sie durch sichere

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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 035. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/46&oldid=- (Version vom 22.8.2016)