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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

die zu JEsu kommen und Ihm die Ehre geben! Mögen ihrer viele werden, die ihre größte Freude darin finden, ihre kleine Hoheit vor der ewigen Majestät JEsu in den Staub zu legen! Und mögen jedem Königischen, der die schönen Wege geht, aus dem Volke Hunderte folgen, jeder der Anführer einer großen Schaar williger Knechte und Anbeter JEsu werden!

 2. Abgesehen von dem guten Beispiel könnte man freilich sagen, es sei so hoch nicht anzuschlagen, daß der Königische zu JEsu gekommen sei; sein Sohn sei krank und in Gefahr des Todes gewesen, und in solchen Fällen versuche der Mensch alles, auch wozu er sonst keine Lust habe; was andere dazu sagen, darauf gebe er alsdann nicht Acht. Es ist auch an diesen Reden etwas. Ihr Inhalt paßt zwar nicht so scharf, wie er lautet, auch auf alle Menschen; es gibt ja unbestritten auch solche, die von der Noth nicht aus dem gewöhnlichen Geleise ihres Denkens und Handelns gerißen werden, gerade dann auf das Genaueste überlegen und jeden, selbst den kleinsten Umstand abwägen. Aber paßt der Einwand nicht auf alle, so paßt er auf manche, und wir wollen ihn deshalb ganz in seinen Würden gelten laßen. Es kann uns ohnehin am Ende gleich gelten, ob er den Königischen trifft oder nicht; genug, dieser kam zu JEsu, das diente andern zu gutem Beispiel, damit war ihm und andern geholfen, und das ist die Hauptsache. − Jedoch, meine Freunde, wir, die wir gegenwärtig in keiner Noth sind, sondern Zeit und gute Muße haben, werden dennoch wohl thun, wenn wir einmal uns besinnen, ob denn überhaupt die Noth eine Lehrerin des Gebets genannt werden kann, ob, wenn eine Noth zum Beten treibt, nicht doch immer ein höherer und beßerer Zug sich im Gemisch inwendigen Denkens und Fühlens und Begehrens geltend macht? Man denke sich einen Menschen, der weder zuvor, noch in seinem gegenwärtigen Nothstande etwas von Gott erfahren hat, wird den auch seine Noth zum Beten treiben? Ihr werdet zugestehen, daß es nicht möglich ist. Ihr werdet aber eben deshalb auch zugestehen, daß es dann in gar keinem Falle die Noth ist, welche zu Christo und zum Beten treibt, sondern das Wort Gottes und der Geist des HErrn, welcher die Seele an das Wort erinnert. Das ist wahr: Noth ist Rathlosigkeit, und Rathlosigkeit macht für Rath empfänglicher, und wenn dann zu rechter Zeit der Geist des HErrn erscheint und zum rechten Helfer treibt, so ist der Widerstand geringer, als im Glück. Da nun der Geist des HErrn ein treuer Seelensorger ist, so wirkt er dann am meisten, wenn der Mensch seiner Wirkung am wenigsten widersteht, und daher so viel Gebete der Noth, die, weil sie in der Noth geboren sind, von ungeistlichen Menschen geradezu für Geburten der Nöthen gehalten werden. Ist nun das Nothgebet auch ein wahres Gebet, − womit ich nicht gesagt haben will, daß der Geist in uns nicht unter herrlicheren Umständen wirken könne − , so sehe ich nicht ein, warum das Nothgebet des Königischen um der Noth willen so gering angeschlagen werden soll. Rücken wirs wieder an seine edle Stelle und bitten Gott, daß wir, wenn uns der Geist dermaleins in Noth zum Beten treibt, seinem Triebe gehorsam sein mögen wie der Königische. Ueberhaupt wollen wir das Nothgebet nicht so gar gering anschlagen. Der Geist führt manchen in Nöthen zu JEsu, der dann in Fried und Freuden bei Ihm bleibt; und umgekehrt kommt mancher in Freudentagen zu JEsu, der in Noth nicht zu Ihm betet, sondern von Ihm weicht.

 3. Der Königische kommt also zu JEsu und betet um das Leben und die Genesung seines Sohnes, und wie wir aus der Erzählung vorauswißen, half ihm auch der HErr. Es ist schon einmal in diesen Vorträgen bemerkt worden, daß einem gläubigen Menschen Glück zu wünschen ist, wenn er den größern Theil des Lebens hinter sich hat und nun dem Ziele seiner Seligkeit nahe ist. Unsre Mütter haben uns ja nicht für diese Welt geboren und wir haben deshalb schon am Anfang unsers Lebens die Namen „Erdenpilger und Himmelsbürger“ geführt. Eben deshalb aber könnte man fragen, ob man denn so ängstlich ums Leben bitten soll, und nicht ganz klar könnte man die Absicht JEsu finden, in der Er so vielen Kranken die arme Lebenszeit verlängert hat. Gegenüber diesen Gedanken laßet uns einige andere setzen. Der Sohn des Königischen, war er gläubig? war er nicht gläubig? Wer kann das sagen? Wenn er nicht gläubig gewesen wäre, so wäre es ihm unbedingte Wohlthat gewesen, länger zu leben, denn er konnte bei verlängerter Lebenszeit zum Glauben kommen. War er aber gläubig, so fragt sich: Hat für den Gläubigen eine verlängerte Lebensfrist keinen, gar keinen Werth? Hat die Bewährung und Beweisung des

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 129. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/468&oldid=- (Version vom 31.7.2016)