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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

Glaubens in der Heiligung gar keinen Einfluß auf unsre Ewigkeit? Gewis beantwortet ihr diese Fragen alle mit ja. Der Gläubige kann viel gute Saat ausstreuen, die Frucht trägt in Ewigkeit, und je vollendeter die Heiligung eines Menschen auf Erden wird, desto reifer, desto tüchtiger für himmlische Aemter und Geschäfte kommt er heim zum Himmel. Ist aber das der Fall, so kann man ja freilich auch für den kranken Gläubigen ums Leben beten, und der HErr, wenn Er erhört, gewährt ihm eine Wohlthat. − So stehen nun Gedanken Gedanken gegenüber, und es fragt sich, ob sie zusammenstimmen? Soll ich für den Ungläubigen ums Leben bitten? Antwort: Ja, doch mit Unterwerfung unter Gottes Willen. Soll ich aber für den Gläubigen erbitten oder ihm glückwünschen, daß er dem Ziele so nahe? Ich sage: Bedingungsweises Beten ums Leben, bedingungsweises Glückwünschen ist das beste. Wer selig sterben kann, kann sterben und darf sterben, wenn Gott gebeut; denn nöthig, durchaus nöthig ist Seligkeit, der Grad der Vollendung ist verschieden. Legen wir alles in JEsu Hände nieder: freuen wir uns, wenn kranke Gläubige leben, freuen wir uns, wenn sie sterben. Es ist ihnen beide male wohl geschehen.

 4. Daß der HErr dem Königischen geholfen hat, haben wir bereits erwähnt; aber es gieng ihm ganz wie dem cananäischen Weiblein, die Hilfe kam unter Zögern. Der Königische war kein Versucher Gottes und JEsu, denn es konnte ihm auf keine andere Weise, als durch ein Wunder geholfen werden. Er betete zuversichtlich und voller Glauben um ein Wunder; es kann niemand leugnen, daß alles Thun des Königischen ein Zeugnis des Glaubens war. Und doch bekam er eine Antwort voll strafenden, tadelnden Inhalts: „Wenn ihr nicht Zeichen und Wunder sehet, so glaubet ihr nicht!“ Diese Worte werden tief in die Seele des Königischen eingeschnitten haben. Vielleicht wurde ihm durch sie sein tiefstes Innere bloß gelegt, vielleicht fand er Gründe in sich, JEsu Worte völlig zu rechtfertigen; es mag in seinem Herzen geheißen haben: „Nun geh hin, so hast dus verdient, abgewiesen bist du,“ es mag sich ein harter Kampf in ihm erhoben haben, ob er gehen, ob bleiben und zubeten solle. Man kann das nicht versichern, denn wir lesen nichts davon; aber wenn es so gewesen ist, oder wenn umgekehrt der Königische in seinem Glauben gar nicht wankte, wenn JEsu strafendes Wort keinen Hauch der Unruh in seine Seele brachte, so viel ist ganz offenbar, daß sein Glaube stark war, im Beten und Rufen blieb. Durch schwere Kämpfe oder durch leichte, wenn nur der Glaube sich bewährt, wie bei dem Königischen, der auf JEsu strafendes Wort nur eine Antwort hatte, nemlich dringendere Fortsetzung seines Gebets: „HErr, komm hinab, ehe denn mein Kind stirbt!“ − Liebe Brüder! Man hört so oft die Hilfe Gottes rühmen, wo sie eintritt, und Sein Halleluja erschallen bei Seinen großen Thaten, und wer wird das nicht gerecht finden, wer nicht wünschen, daß Ruhm und Halleluja noch viel öfter und lauter erschallen mögen? Und doch möchte ich Ruhm und Preis und Halleluja noch vor die Hilfe stellen, wenn nemlich vor der Hilfe ein solcher Prophet vorhergeht, wie bei dem Königischen, ich meine: ein solcher Glaube, der so in Versuchung und Prüfung gehen und Stand halten und siegen kann. Welche Hilfe ist größer, als diese heilige Creatur selber, der standhafte Glaube? Er hofft, wo nichts zu hoffen ist, er glaubt, wo nichts zu glauben, wo ein Abschlag um den andern gegeben wird, sein Ja bleibt Ja und steigert sich zum Eide, den er auf die Gnade Gottes schwört, selbst wenn Fleisch und Welt und Teufel und Gott selbst widerstreiten. Wem der HErr einen siegreichen Glauben gibt, dem gibt Er eben damit das allergrößte Geschenk, um des willen man alles andere missen kann und wartet auf alle Verheißungen, die noch kommen sollen.

 5. Der Glaube in seinen Eigenschaften, meine Brüder, ist uns wohl bekannt. Wir wißen es wohl, daß er nicht bloß eine Zuversicht zukünftiger Güter ist, sondern daß er auch ein zuversichtliches, glaubensvolles Handeln und Wandeln bringt und uns verleiht, mit Geduld in guten Werken dem verheißenen ewigen Leben entgegenzugehen. Dieses Leben des Glaubens wird uns in so manchem Sonntagsevangelium vor die Augen gestellt zur Prüfung, zur Beschämung, − uns zum Gebet zu reizen, zum Gebete, daß wir gleichfalls solchen Glauben finden mögen, wie wir ihn lesen. Ein herrliches Glaubensbeispiel gibt uns auch unser heutiger Text, ein Beispiel, welches uns, bitt ich, Nachfolge weißage und endlich ernstlich auf die Kniee, ins Gebet um gleichen Glauben bringen und treiben möge. Der Königische hatte in standhaftem Glauben gesprochen: „HErr, komme hinab, ehe denn

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 130. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/469&oldid=- (Version vom 31.7.2016)