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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

Sie haben seine Wahrheitsliebe gelobt, − und wohlan, da ist die Bestätigung ihres Lobes; da ist Wahrheit: sie sind Heuchler und ihre Lobreden sind Heuchelei. Sie haben Ihn gefragt, wie wenn sie Lernens wegen gekommen wären, und haben Ihn doch nur versuchen wollen; dafür sagt Er ihnen laut vor allen Leuten, was ihr Sinn ist: sie sind Versucher Christi. Ich möchte Zeuge gewesen sein, wie den Menschen die angenommene Miene entfiel, wie sie entlarvt da standen, noch ehe die Antwort JEsu kam. Sich so erkannt und dargestellt zu sehen! Kann denn da nur noch ein Gedanke aufgekommen sein, daß die Antwort auf die eigentliche Frage fehlen werde? − So müße es gehen allen Deinen Feinden, o HErr! Deinen Aufrichtigen aber laß es gelingen, und mit den Bußfertigen geh nicht ins Gericht! −

 An die bestrafenden Worte des HErrn schloßen sich alsbald andere an. „Weiset mir die Zinsmünze!“ spricht Er und begehrt damit ein Geldstück, welches bei Zahlung des Zinses oder der Steuer gebraucht werden mußte. Man reicht Ihm die Münze, man begreift nicht, wozu Er sie brauchen kann, wie sie Ihm aus der Verlegenheit helfen kann. Man begreifts nicht, aber bald wird es begriffen sein. Der HErr nimmt die Zinsmünze, Er hält sie den Feinden vors Angesicht und Angesichts der Münze erklingt Seine Frage: „Wes ist das Bild und die Ueberschrift?“ und die kleinlaute Antwort wird vernommen: „Des Kaisers“. Da kommt nun kurz und klar und wahr die Antwort JEsu: „So gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist!“ − Was ist nun das für eine Antwort? Heißt sie Ja? Heißt sie Nein? Sie heißt nicht Ja und nicht Nein. Die Pharisäer hatten sich verrechnet; es gab außer dem Ja und Nein eine dritte Antwort, an die sie nicht gedacht hatten, − und die, grade die und sonst keine, war die rechte. Einfacher, treffender, schlagender, schärfer, gerechter konnte es in der Welt nichts geben, als diese Antwort. Darum verwunderten sich auch alle, ließen Ihn und giengen davon. „Gebet dem Kaiser was des Kaisers ist,“ sagt Christus − und was denn also? Die Zinsmünze, die der Kaiser hatte prägen laßen, die er den überwundenen Völkern hinausgab, in der er den Zins, die Steuer gezahlt haben wollte. Die Juden waren Unterthanen des Kaisers, davon war die Zinsmünze, in der sie Zins zahlen mußten, ein offenbarer Beweis. Wem man zinsen und Steuern zahlen muß, wer einem die Münze vorschreiben kann, in der man zahlen muß, der hat Gewalt und ist Oberherr, und für den spricht das Wort Gottes: „Jedermann sei unterthan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat. Denn es ist keine Obrigkeit ohne von Gott; wo aber Obrigkeit ist, die ist von Gott verordnet. Wer sich nun wider die Obrigkeit setzet, der widerstrebt Gottes Ordnung; die aber widerstreben, werden über sich ein Urtheil empfahen.“ (Röm. 13.) Das ist die Lehre des HErrn durch seinen eigenen Mund an die Pharisäer, durch den Mund St. Pauli an alle Menschen. Und auf die Juden hat das apostolische Wort noch seine besondere Anwendbarkeit. Gegenüber den Juden hieß es in Beziehung auf den Kaiser ganz treffend: „Es ist keine Obrigkeit ohne von Gott.“ Es war von Gott, daß das Scepter von Juda gewichen und der Kaiser Herr geworden war im jüdischen Lande, daß der Held, dem die Völker anhangen sollten, mitten unter den Juden stand, die Zinsmünze in der Hand, Gehorsam gegen die Obrigkeit predigend, die Gewalt hatte, vor Widerstreben gegen Gottes Ordnung und vor dem Urtheil aller Widerstrebenden warnend! Die Juden konnten in dem „Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist“ eine tiefe Wahrheit finden.

 Indes, wenn Christus nur diese Worte gesagt hätte, würde Er freilich den Pharisäern ins Gericht gefallen sein. Aber Er spricht ja auch: „Gebt Gott, was Gottes ist.“ Der HErr behauptet also, daß die Juden Gott dienen können, obschon sie dem Kaiser zinsen müßen. Was Gottes ist, die Seele, auf welche Sein Bild geprägt sein soll, den heiligen Dienst, den man Ihm schuldig ist, die Tempelsteuer, ohne welche der heilige Dienst nicht bestehen kann, den heiligen Gehorsam, welchen Sein Wort befiehlt, kann man Ihm geben, auch wenn man ein römischer Unterthan ist. Beides soll zusammen gehen und zusammen bestehen, und eben darin besteht die große Weisheit der Antwort JEsu, daß Er beides nebeneinander bestehen läßt.

 Die Antwort war übrigens, so schlagend sie war, doch überraschend und ganz neutestamentlich. Auf dem Standpunkt der Pharisäer freilich würde sie nie gegeben worden sein; da würde es zwischen Ja und Nein keinen Ausweg, geschweige den königlichen Weg gegeben haben, der Ja und Nein vereinte. Im alten Testamente war ja allerdings Israel gesondert von

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 139. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/478&oldid=- (Version vom 31.7.2016)