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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

Wort, gehen wir unsern Gang zu Seinem ewigen Aufenthalt wie Sein Wort uns anweist, so werden wir Ihn an Seinen Zeichen erkennen und Ihn finden in der Herrlichkeit des Vaters zu unsern ewigen Freuden.


 Nachdem die Hirten ihren Glauben durch Schauen bestätigt gefunden hatten, fiengen sie an von der Geschichte zu reden und zu predigen. − Warum haben sie nicht gleich nach der engelischen Erscheinung geredet und gepredigt? Etwa weil es Nacht war, weil erst unter ihrem Gang nach Bethlehem oder während ihres Aufenthalts dortselbst der Morgen kam? Aber sie hätten ja die Leute von Bethlehem, ihre Nachbarn und Gefreundte wecken können. Gibt es doch auch sonst Dinge, für deren Mittheilung man den Morgen nicht abwartet, sondern es für der Mühe werth hält, seine Freunde aus dem Schlaf zu wecken! Wenn eine Botschaft des Aufweckens und Aufstehens werth war, so war es die, welche die Hirten selbst von den Engeln vernommen hatten. Das anfängliche Schweigen der Hirten hat wol andere Gründe. Sie dachten nicht ans Reden; noch hatten sie etwas anderes zu thun, sie waren vom Engel angewiesen, nach Bethlehem zu gehen und den Heiland zu schauen. Sie sollten schauen − und das wollten sie: sie giengen und schauten. Ihre Seele war ganz mit der Ausführung deßen beschäftigt, was sie sollten. Sie sollten wol auch reden und predigen, aber erst durch das Schauen bekamen sie die volle, nachhaltige Befähigung. Nicht bloß als Ohrenzeugen, sondern auch als Augenzeugen sollten sie reden und ihrem Worte sollte man die doppelte Zuversicht des Auges und Ohres entnehmen können. Sie sollten nicht bloß für ihre Nachbarn, sondern für alles Volk, für alle Völker, für alle Zeiten bis ans Ende Zeugen sein. Alle Prediger der heiligen Kirche sollten sich auf ihr Zeugnis berufen können, darum mußte es fest und gewis sein. Wenn es das nicht bloß für sie, sondern für die Zweifler aller Zeiten geworden, dann sollten sie reden. Und so geschah es auch. Nach dem Schauen redeten sie, und zwar nicht bloß zufällig da oder dort, sondern sie breiteten das Wort recht absichtlich und geflißentlich aus. Sie wißen etwas, das läßt sich nicht mehr verbergen, nachdem es recht erkannt ist; das ist werth, von allen vernommen zu werden. Sie brennen so selig, darum zünden sie so fröhlich.

 Auch bei uns zündet ihre Botschaft. Woher stammen denn alle die Reden und Predigten, welche man heute und gestern in der ganzen Welt über das Wunder, das zu Bethlehem geschehen, gehalten hat und noch hält? Woher kommt all dieß Feuer des Glaubens, Bekennens und Predigens? Es ist der Funke der Hirten, der gezündet hat. Der Hirten gewisse Erfahrung hat ihrer Erzählung unter uns Ansehen verschafft und auf Grund ihres gewissen Berichtes erbaut uns der Geist des HErrn zu gleichem Glauben.


 Doch hier sind wir bereits zu dem gekommen, was wir aus unserm Texte weiter vorzulegen haben. Denn von der Wirkung haben wir nun zu reden, welche die Predigt der Hirten gehabt hat.

 Die Wirkung und der Erfolg ihrer Predigt war bei Verschiedenen verschieden; aber eine Wirkung hatte sie bei allen, welche die Kunde vernahmen: Verwunderung. Es waren eitel Wunderdinge, welche sie sagten, an die Thaten Gottes in alten Zeiten nicht bloß erinnernd, sondern auch sie überstrahlend, dem gewöhnlichen Ergehen und Erleben der Menschenkinder so gar nicht entsprechend. Dazu wurde die Geschichte von Männern erzählt, welche von einer solchen Botschaft gar keinen zeitlichen Vortheil haben konnten, denen man eigene Phantasien dieser Art nicht zutrauen konnte, aus deren Seelen Predigten wie die Engelpredigt war, Lobgesänge wie das Gloria der Engel nimmermehr kommen konnten. An Erdichtung durch die Hirten zu denken, wäre der verkehrteste Unverstand gewesen. Diese Dinge sind über aller Menschen Sinn und Vermögen so erhaben, daß sie, einmal erzählt, auch nur geschehen und göttliche Thaten sein konnten.

 Billig verwunderte sich deshalb auch jedermann. Aber wenn der Hirten Predigt keine Wirkung weiter gehabt hätte, als Verwunderung, so würde sie wenigstens für die nächste Zukunft keinen großen Segen nachgelaßen haben. Verwunderung, schnell geboren, pflegt kurzes Lebens zu sein, auch die Verwunderung über die Hirtenpredigt würde bald dahin gestorben sein, wenn schon nach Verlauf eines Menschenalters durch die ferneren großen Thaten Gottes die Erinnerung an die geweihte Nacht zu großem Segen wieder erweckt werden konnte. Es war jedoch eine, bei welcher die Engelpredigt einen größeren Erfolg hatte, das war

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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 037. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/48&oldid=- (Version vom 22.8.2016)