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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

Anspruch der weltlichen Herren an die Kirche und die Gewaltthaten, welche daraus hervorgiengen, nicht minder bemerklich und beschwerlich geworden, als die Uebergriffe des Papstes in Kirche und weltliches Regiment. Wer kann hier ohne Jammer und Thränen nur z. B. an das Schicksal unserer lutherischen Kirche denken! Wer ohne tiefen Schmerz inne werden, wie selbst unser lutherisches Volk von dem Gedanken, daß die Kirche des Kaisers sei, ganz und gar durchdrungen ist! Ja, ja, es ist in Fleisch und Blut der Mehrzahl eingedrungen, die Kirche sei Staatsanstalt; so eingedrungen ist es, daß viele aus dem Volke selbst es für eine Art von Gelüsten nach Priesterherrschaft erklären, wenn man, seis auch mit der ruhigsten Gemeßenheit, gegen den unheiligen und unseligen Satz protestirt. Weil es im Verlauf der Zeit dahin gekommen ist, daß die Aeltesten der Gemeinen einige weltliche Geschäfte zur Erleichterung weltlicher Amtleute übernehmen mußten, so hat man gute Lust, ihr gesammtes heiliges Amt als den weltlichen Amtleuten unterworfen anzusehen. Wenn irgend etwas in der Amtsführung des Geistlichen misfällig ist, glaubt man, das Einschreiten der weltlichen Macht ganz in aller Ordnung anrufen zu können. Und was alles für Beweise könnte man geben, daß die Kirche als des Kaisers Erbtheil angesehen wird. Es kommen ja Fälle vor, die sich nur aus der Annahme erklären laßen, daß der Kaiser über die Kirche Herr sei, die doch Gottes ist. In Wahrheit, die Reformation mit ihren reichen Schätzen würde gewis eine ganz andere Bedeutung gewonnen und einen ganz andern Segen für die Welt gestiftet haben, wenn sie nicht den Reichen der Welt unterthänig geworden wäre und in den Grenzen all der Länder und Ländchen, in welche ihr heiliger Leib zerrißen ist, die Grenzen ihrer Segnungen, in dem Elend und Unglück der ihr übergeordneten Staaten Feßel und Tod ihres Lebens gefunden hätte. „Gebet dem Kaiser, was des Kaisers ist“, das ist eine heilige Wahrheit. „Gebet Gott, was Gottes ist“, das ist nicht minder göttlicher Befehl. Eines wie das andere soll unangetastet stehen. Gelobt sei der HErr, welcher heilige Gerechtigkeit lehrt, beiden Gottesordnungen, der Kirche und dem Staate, Gottes Schutz und Frieden zueignet, beide friedlich nebeneinander stellt, ohne daß eines in das andere aufgehen soll. So wie eine von beiden Stiftungen des HErrn die andere verschlingen will, kommt ein Widerstreben des andern Theils, aus welchem Streit und Krieg hervorgeht, oder es kommt eine ungöttliche Unterordnung, aus welcher Elend kommt. Festhalten von Gott gesetzter Grenzen bringt Frieden, Uebergriffe in fremdes Gebiet bricht Gottes Frieden. Was Gott zusammengefügt hat in Eins, soll der Mensch nicht scheiden; was Er aber nebeneinander gestellt hat, soll sich nicht allzu nah vereinen, daß nicht Gottes Wille zum Unheil verletzt werde.

 Es ist ja ohnehin nicht von einem feindlichen Gegenüberstehen, sondern von einem friedlichen Nebeneinanderstehen die Rede, woraus gegenseitiger Beistand und Hilfe kommen kann. Die Kirche gibt dem Staate ihre Kinder und lehrt sie heiligen Gehorsam gegen alle Obrigkeit. Der Staat wehrt schirmend äußere Gefahren von dem Haufen der göttlichen Gemeinde ab. Die Kirche ist eine Erzieherin der Völker, zu aller, auch zu aller irdischen Ordnung; der Staat krönt sie dafür mit allerlei irdischem Segen. Eines kommt dem andern mit Ehrerbietung zuvor. Eines dient dem andern. Unter dem Dienste beider gelangt das Volk des HErrn zu seinem ewigen Ziele. Bei weitem weniger würde erreicht, wenn beide ineinander aufgiengen. Mit zwei milden Händen, mit Staat und Kirche segnet Gott Seine Heerde. Und so, grade so ists recht und wohl gethan.

 Das überleget, lieben Brüder, und zum Schluße nehmt ein allbekanntes Wort mit von hinnen, denn es ist wahr und werth gesagt zu werden. Das frömmste Kirchkind ist auch der frömmste Unterthan. Umgekehrt ist der gewis kein Christ, der nicht gehorsam die Befehle des weltlichen Regiments vollzieht, so lange sie mit dem Worte Gottes stimmen. Es ist der Fürst der Kirche, welcher die heilige Regel gibt: „Gebet dem Kaiser, was des Kaisers ist!“ und es sind die Aeltesten der Gemeinden, die Diener JEsu, welche auf Grund des heiligen Gebotes ihres Königs JEsus von allen Gliedern der Gemeinden Gehorsam dem weltlichen Regimente fordern!

 Der HErr sei gnädig Seiner Kirche und segne sie und gebe ihr die Fülle Seiner Kräfte, die Er ihr verheißen hat, zum Segen der Völker und Staaten! Amen.




Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 141. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/480&oldid=- (Version vom 31.7.2016)