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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

Seine Liebe, Sein Erbarmen; aber sich? Sich sehen sie nicht; sie verschwinden vor sich selbst und es steht und lebt vor ihren Augen ER, nur ER. − So geschieht es JEsu Schafen − und nun wollen wir uns dagegen halten. Was ist unsere Barmherzigkeit? Wir sollen nicht so mit der Verborgenheit unserer Wohlthaten buhlen, noch so eigensinnig und hochmüthig auf Verborgenheit unserer Werke dringen, daß wir aufhören, Gutes zu thun, weil und wann man uns sieht. Die schönste Verborgenheit ist die Demuth, die bleibt, auch wenn sie auf dem Markte gezeigt würde. Aber eben darum, Brüder! Wo ist denn bei den meisten unter uns die Demuth der Barmherzigkeit? Ach guter JEsu, wie legen wir so oft alles darauf an, daß wir gesehen werden! Wie schleichen wir mit unserm Groschen in der Hand oft so leise, daß wir durch Leisethun Aufsehen erregen! Und umgekehrt, wie schleichen wir oft gar nicht leise, sondern treten hervor wie Pharisäer, blasen Posaunen und setzen uns Ehrensäulen! Ach HErr, ach HErr! Gegenüber dem Gedanken Deines Gerichtes, geschweige gegenüber Deinem feurigen Angesicht fällt hin alles Rühmen! Wir fragen: „HErr, wann haben wir Dir in Deinen Elenden gedient?“ Und die Antwort unseres Gewißens ist: „Ach nie, nie recht, nie von Herzensgrund!“ Was bliebe uns übrig, wenn nicht Deine Gnade und Dein Erbarmen und Deine Allmacht, die uns, ehe wir sterben, noch fruchtbar machen kann an guten Werken?


 Wie sind wir herabgeworfen − und wie werden wir es noch viel mehr, wenn man betrachtet, wie schön es ist, dem HErrn ein gutes Werk gethan zu haben, wie gnädig Er es ansieht, wie Er es lobt und lohnt! Gerne möchte ich anders reden, gerne durch des HErrn gnädiges Achten auf unsre Werke zu guten Werken ermuntern! Wenn es nur nicht gar so sehr niederschlüge, zu denken: „An dir sieht auch des HErrn allwißendes Auge nichts, das Er an jenem Tage zu Seines Namens Preis hervorheben und vor Seinen Heiligen rühmen könnte!“ Doch aber willst Du ja nicht, o HErr, daß wir vor Schaam und Armuth vergehen. Viel lieber hast Du hoffende, betende Seelen, die eine reichlichere Ausgießung Deines heiligen Geistes begehren, auf daß sie Dir noch einigen Dienst und Ehre erzeigen können, ehe die Nacht kommt, da man nicht mehr säet noch sonst auf Hoffnung arbeitet. Und wer weiß, ob wir nicht undankbar sind, wenn wir gar nichts in unserm Leben finden, was Dein Geist in und durch uns gewirkt hätte! Vielleicht ist bei etlichen unter uns doch Deine Kraft, Deine heilige Gabe, Deine Unterstützung, und es fehlt ihnen nur, daß sie die Kraft und Gabe achteten und betend und ringend sie erweckten! Ach, wenn irgend jemand unter uns ist, auf welchen dies paßt, der sei in JEsu Namen zur Treue mit der geschenkten Kraft und zum Fleiß im Guten ermuntert und fröhlich auf die gnädige, wohlgefällige Weise hingewiesen, in welcher der HErr im Evangelium unser Opfer aufnimmt! Der HErr bemerkt, der HErr achtet, der HErr weiß deine Werke! Wenn du in Liebe zu Ihm, um Seinetwillen Seinen Brüdern etwas thust, so ist dein Gebet im Himmel und vor Ihm gethan. Und du wolltest nicht fleißig sein in guten Werken? Sein Geist gibt dir Kraft, Sein Auge sieht so gerne die Ausübung deiner Kraft, und dir wirds so schwer, sie auszuüben? Sprich lieber zu Ihm: Auge JEsu schone, Blick JEsu verzeih, wenn ich thue was ich kann und rechne mir die Unvollkommenheit meiner Werke nicht zu! Sprich also und geh fröhlich ans Werk. Und wenn deine Hand ermüden oder dein Fuß erlahmen will, so erinnere dich, daß du alles, was du den Menschen thust, Ihm thust, deinem HErrn. Wenn du Ihm nach Seinem vierzigtägigen Fasten mit den Engeln hättest in der Wüste dienen dürfen! Oder wenn du Ihn hättest kleiden dürfen, da Er nacket am Marterpfahle stand! Oder wenn du Ihm hättest Sein Kreuz tragen, Seinen Durst am Kreuz stillen, Oel in Seine Wunden gießen dürfen! Wie verlangt dich nach solcher Ehre! Und nun sieh, wie nah dir diese Ehre gerückt ist! In viel hundert Gestalten erscheint dir Seine Armut, Sein Durst, Seine Blöße, Sein Schmerz. Du kannst annoch Ihm dienen, wenn du Seinen Stellvertretern, Seinen Kreuzträgern, dienst, und Er will dir all dein Dienen dermaleins belohnen, als wäre es Ihm persönlich geschehen. Ja Er will, daß wir selber alles, was wir den Armen und Elenden thun, ansehen als Ihm persönlich geschehen! JEsu, JEsu, daß wir könnten, was Du so hoch achtest, daß Du unser Leben mit heiliger Fertigkeit und Gewohnheit guter Werke kröntest!


Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 154. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/493&oldid=- (Version vom 31.7.2016)