Seite:Wilhelm Löhe - Evangelien-Postille Aufl 3.pdf/518

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

von dem heißt es, wie wir hörten, im edelsten Sinn: „Wenn Du mich demüthigst, machst Du mich groß.

 Wir feiern heute das Gedächtnis des Erzengels St. Michael und aller Engel. Ich will jetzt nicht davon reden, wie groß, heilig und hehr St. Michael ist, − nicht beweisen, daß er nicht, wie etliche von unsern Vätern dafür hielten, Christus selbst sei, sondern ein wahrhaftiger und geschaffener, aber großer, siegreicher Fürst und Führer der himmlischen Heerschaar; sondern ich will einfach bei meinem Texte bleiben − oder vielmehr, ich will fragen, warum doch dieser Text für das Fest des Erzengels Michael und aller Engel gewählt ist, − dies Evangelium, welches hauptsächlich von der Größe der Einfalt und nur sehr zufällig von den Engeln handelt? Die Frage scheint schwer und hat eine leichte Antwort. Es fehlt nicht an andern Texten, welche von den Engeln handeln, aber es gibt in den Evangelien keinen Text, welcher die Verbindung, welche zwischen Menschen ist und Engeln, so schön aufzeigt, als unser Evangelium. Grade diese Verbindung aber ist es, welche wir feiern. Daß es Engel gibt, viele, große, heilige, viele Ordnungen und große Abstufung und Verschiedenheit des unaussprechlichen und ewigen Glanzes, das ist es nicht, was uns heute bewegt. Aber das ist es, was uns hoch erfreut, zur Dankbarkeit gegen Gott und die seligen Engel selbst reizt und treibt, daß sie ihrem König Christus in allem, auch in der Liebe zu uns und unsern Kindern und in der Gemeinschaft mit uns nachfolgen. Hier sind wir, eine verlorene Welt, − und sieh, zu uns, zur Menschwerdung, zur Erlösung steigt Gottes Sohn hernieder. Die barmherzige Liebe zwingt Ihn herunter bis zu uns. Da zieht das Heer der Engel Ihm nach. Er liebt, so lieben auch sie. Er dient, so dienen auch sie. Er liebt die Kinder vor allen Verlorenen, herzt, küßt und segnet sie: da stehen auch sie um Wiegen und Kinderbetten und hüten mit seliger Lust die Schäflein JEsu, die Geliebten. Er freut Sich der Kindereinfalt und preist die Manneseinfalt: da sind auch sie, wie Hüter der Kindlein, so Freunde, Wächter und Begleiter einfältiger Männer. Sie treten in Gemeinschaft mit der Kirche der Kindlein und Männer; sie kommen und bleiben unter uns; sie beten mit uns, loben und danken mit uns, − sie geleiten uns von der Geburt bis zum Tode, in die Zeit und in die Ewigkeit, und kurz: wir haben unter den Creaturen keine heiligeren, seligeren und liebevolleren Freunde, als die heiligen Engel − die Christo nach sich die Menschen zum Augenmerk und Zielpunkt einer ewigen Liebe gewählt haben. − Joh. 1, 51. spricht der HErr: „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch, von nun an werdet ihr den Himmel offen sehen und die Engel hinauf und herab fahren auf des Menschen Sohn.“ Hiemit ist die Zeit des Neuen Testamentes beschrieben. Wir sehen die Engel nicht, aber mir ist, als sähe ich sie, so gewis weiß ich, daß sie um uns her sind und mitten unter uns. Ich fühle mich wie gezogen und bewogen, sie mit Grüßen dankbarer Freude zu grüßen. Ich möchte sie mit tausend Grüßen ehren, die großen, theuren, segensreichen Boten und Nachfolger JEsu und Freunde des menschlichen Geschlechts. Aber mehr noch soll und muß mich und euch verlangen, in den Zustand zu kommen, der Christo und ihnen so wohl gefällt, in den Zustand heiliger Einfalt und Hingabe an JEsum, von der sie selbst Bilder und Beispiele sind, in der sie so groß sind und die vor ihnen so groß ist, − und die auch wieder nöthig ist, wenn wir recht froh und fröhlich das Engelfest feiern sollen. Denn wer kann sich der Engel freuen, wenn er nicht, durch Christum frei gemacht von Mannigfaltigkeit des Verlangens und von Zweifel, einfach und einfältig geworden ist zu glauben allem, das geschrieben steht? − O HErr, schenke Deinen Knechten, daß sie werden, wie die Kinder, auf daß sie Dir zur Ehre groß werden und dermaleins seien in Deinem Reiche! Amen.




Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 179. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/518&oldid=- (Version vom 31.7.2016)