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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

legt seine Schätze zusammen, wie − verzeihet den Vergleich, − wie der Hund in der Fabel die Knochen, und legt sich selber davor und darauf und denkt an gar nichts anders, als daß er nun Vorrath auf viele Jahre habe, ruhen, eßen und trinken und guten Muth haben könne. Was kümmert er sich um andere; mögen die selbst zusehen. Er hat nun genug und seines Lebens Zweck ist erfüllt. Und wenn er nun nur die Fülle und Ruhe und den guten Muth angewendet hätte, um sich nun auch mit geistigen und ewigen Dingen zu befaßen. Aber das ist auch nicht zu erwarten. Er hält den zeitlichen Reichtum für Seelenspeise und was sagt er? „Ich will, spricht er, sagen zu meiner Seele: Liebe Seele, du hast einen großen Vorrath auf viele Jahre, habe nun Ruhe, iß, trink und habe guten Muth.“ Die Seele soll also den Vorrath besitzen, sie soll davon Ruhe haben und guten Muth, sie soll davon eßen und trinken. So wirft der Mensch seine edle Seele weg, so gering schätzt er sie, und so hoch schätzt er die Erdengüter, daß er glaubt, man habe alles, wenn man sie habe, und einem Reichen, der solche Aernten gehabt, fehle gar nichts mehr.

 So denkt der Reiche. Was denkt und sagt aber der HErr? „Sehet zu, sagt Er, hütet euch vor dem Geize, denn niemand lebt davon, daß er viele Güter hat.“ „Du Narr, spricht Er, diese Nacht wird man deine Seele von dir fordern, und weß wirds sein, das du bereitet hast?“ Und das ists, das soll man bedenken − denn es ist nicht anders, als wie der HErr sagt.

 „Niemand lebt davon, daß er viele Güter hat.“ Wenn einer gleich eßen und trinken kann, was er will, − oder beßer, wenn einer gleich im Stande ist, seinem Leibe das Zuträglichste zu geben und ihm das Schädliche zu verwehren, er lebt doch nicht davon. Es kommen Krankheiten auf unbekannten Wegen, und der seines Lebens sehr hütet, ist vor Wehetagen doch nicht sicher. Und die Ruhe? Wie thöricht, Ruhe bei dem irdischen Gute zu suchen! Wenn nun der HErr das irdische Gut wegnimmt, wo bleibt dann die Ruhe? Gibts eine Versicherungsanstalt gegen die Hand Gottes, wenn sie arm machen und Fülle mit Darben wechseln will? Und ob dir deine Fülle bliebe: du müßtest eine sehr elende und todte Seele haben, wenn sie vom Reichtum satt würde. Salomo war reich wie einer, und doch spricht er, es werde das Auge vom Sehen, das Ohr vom Hören nicht satt, und gewis meint er auch, daß das Herz von allem Erdengenuß nicht satt werden könne. Elende, faule, träge Ruhe des Fleisches, trügerische, eingebildete − wie schnell ist es aus mit ihr, wie bald räumt sie der heulenden Unruhe den Platz ein! So ists nichts mit der Ruhe − und nichts mit dem guten Muthe des zeitlichen Gutes. Ach, wie wenig fröhliche Reiche gibt es; ein fröhliches Herz, ein guter Muth ist eine besondere, von allem Reichtum unabhängige Gabe Gottes, und wer sie hat, der hat ein tägliches Wohlleben.

 Es ist also gewis, meine Brüder, daß kein Mensch davon lebt, daß er viele Güter hat. Und wenn nun die Seele vom Leibe gefordert werden soll, wie dann? Wenn nun die Seele die irdischen Güter verlaßen soll und weiter nichts hat?! Wenn sie vom zeitlichen Gute mit dem Leib gegeßen und getrunken und gute Tage gehabt hat, was fängt sie an, wenn ihr der Leib genommen wird, durch welchen und in welchem sie die jammervolle Einbildung nähren konnte, als lebte sie vom Zeitlichen? Der Leib verwest und wird zu Staub und bedarf dann nichts mehr. Die Seele aber kann außer dem Leibe wallen und leben, bedarf, um zu leben, des Leibes nicht. Wie wird sie nun enttäuscht werden, wenn sie aus dem Leibe gehen muß, wenn ihr das Zeitliche entschwindet und keinen Genuß, auch nicht mehr zum Scheine gewährt, wenn sie nackt, unbefriedigt, bettelarm, ohne Kenntnis der ihr bestimmten Gaben und Speisen, hungernd, darbend zu Dem gehen muß, der sie in unserm Texte mit dem grauenvollen Namen „du Narr“ anspricht? wenn sie sich selbst anreden muß: „Ich Thor, ich habe des rechten Weges verfehlt!“ wenn von einem Einlenken, Umkehren, Anderswerden gar keine Rede mehr ist! Und diese schreckliche Aenderung kann doch einer solchen Narrenseele alle Tage kommen und bei Eingang einer jeden Nacht kann es heißen: „Diese Nacht, diese Nacht“ wird man dich fordern. Es ist doch eine allbekannte, von jedermann anerkannte Sache, daß der Tod gewis und die Todesstunde ungewis ist. Wie ganz ist also der Mensch, was der HErr spricht, ein „Narr“, der zeitliches Glück zum Ruhebette seiner armen Seele macht, und sich sogar nicht gesagt sein läßt, was Röm. 2, 4. 5. ein Apostel ruft: „Verachtest du den Reichtum Seiner Güte, Geduld und Langmüthigkeit?

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 190. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/529&oldid=- (Version vom 8.8.2016)