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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

wäre es kein Wunder, wenn die Menschen sich vor Erkenntnis ihrer Sünde fürchteten! Aber − Gott Lob! was wir nicht sind, das können wir werden, denn Er will es aus uns machen! Hosianna!


Am dritten Sonntage nach Trinitatis.
1. Petri 5, 6–11.

 DIe Welt ist voll Leides und Wehes. Das ist die Hand des HErrn, unter die man sich demüthigen, in die man sich ergeben soll. Der Mensch hat nicht genug am Wehe, das ihm Gott auferlegt; er bereitet sich selber aus Misglauben und Unglauben des Wehes noch mehr − durch Sorgen, obschon ihm Gott versichert, daß Er sorge. Dem eiteln Weh der Sorge, die eben so gottlos, als fruchtlos ist, soll man sich entschlagen. Gebeugt unter Gottes Hand, die auch beim Segen schwer aufliegt, − befreit von sklavischem, ungläubigem Sorgen und Zweifeln, soll man sein. Denn es gibt noch ein Wehe, das weder von Gott, noch von Menschen kommt; es ist des Teufels Anfechtung, die man in Demuth, aber auch durch von eigenen Sorgen freies, nüchternes, wachsames Schauen und Spüren erkennen soll.

 Sie glauben keine Anfechtung des Teufels, denn sie sind eigener Sorgen zu voll, als daß sie das sehen sollten, was ihnen Gott zu sehen und zu beobachten befiehlt. Sie glauben keinen Teufel, geschweige eine Anfechtung des Teufels, denn sie sind nicht nüchtern im Allgemeinen; sie haben sich übernommen im Genuß von Erdenglück und Unglück. Sie glauben keinen Teufel, denn sie sehen ihn nicht, und seine Anfechtung spüren sie nicht, denn sie wachen nicht; sie können nicht merken, was kommt, was über sie kommt; im unbewußten alltäglichen Leben gehen sie hin, wie die Träumenden, die, mit Phantasienspiel beschäftigt, das nicht merken, was um sie her vorgeht und was an feinen Fäden über ihren Häuptern schwebt. So können sie nicht widerstehen, geschweige fest und geduldig widerstehen, − so lernen sie nicht kämpfen, so werden sie im Kampfe nicht bewahrt, nicht vollbereitet, gestärkt, gekräftigt, gegründet, so werden sies nicht zur Ehre Gottes von Ewigkeit zu Ewigkeit − und rühmen nicht Gottes Macht von Ewigkeit zu Ewigkeit!

 Ja doch! Es gibt Anfechtungen, die nicht von innen, sondern von außen, nicht von Menschen, sondern vom Teufel kommen! Es ist kein Aberglaube, zu erkennen, zu erwägen, zu erfahren, was unbezweifelt wahr ist; sondern es ist eine Schwachheit und falsche Schaam verwöhnter Sinnen, zu leugnen, was wahr ist, zumal wenn man es selbst erfährt, aber auch wenn man nichts erfährt. Man hat keine Freude dran, daß es Anfechtungen des Teufels gibt, es ist keine Wollust und Freude am Ungeheuern, wenn man sie behauptet; man kann sie nur nicht leugnen. Es ist aber, wie zu Petri Zeit: der Arge sucht, welchen er verschlinge. Schwache Christen schlagen den starken Teufel; aber die rühmen sich falscher Stärke, die hier nicht ihre Schwachheit fühlen. Die Gewohnheit macht, daß man im Tosen eines Waßerfalls doch Gespräche führen kann; so gibts auch eine heilige Gewohnheit wacher Seelen, die ruhig und friedlich JEsu lebt und mit Ihm betend, mit den Brüdern liebend spricht, während der Widersacher wie ein Löwe brüllt. Taube hören nicht, aber scharfe, geübte Ohren unterscheiden vom Tosen der Hölle den Gesang der Kirche und der Engel. − Gib mir, HErr, wache Ohren, scharfe Sinnen, − und den Trost, daß ich ewig Dein bin, o HErr, durch Dich selber!


Am vierten Sonntage nach Trinitatis.
Römer 8, 18–23.

 DIe Welt ist schön. Ich sage mirs tausend Mal, wenn ich in diesem Frühling durch die Millionen nickender Blumen von allen Farben wandele, − wenn ich in Regenschauern gehe, − wenn ich auf Bergen in hellen Lüften stehe − wenn ich in wunderlichen Wüsteneien bin. Sie ist schön, die Welt, die unsre

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 197. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/536&oldid=- (Version vom 1.8.2018)