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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

nicht mehr vor dem allmächtigen und heiligen Gott. Deine Allmacht, Deine Heiligkeit ist mir enthüllter als zuvor, ich erkenne Dich mehr, als je, Du Schrecklicher! Aber es ist doch ein Muth in mir und eine Freudigkeit, im Glauben an JEsum Christum zu Dir zu sagen: „Abba, lieber Vater!“ − Das macht der Geist Deines Sohnes JEsu Christi, der in mir ist, − der macht den Sünder ohne Hochmuth, in Demuth muthig, daß er zu dem Gott der Heerschaaren kindlich „Abba, lieber Vater!“ sagen kann.

 Und es ist keine Täuschung, kein Selbstbetrug, daß ich mich berechtigt glaube, „Vater“ zu dem HErrn, HErrn zu sagen; es ist der Trieb des Heiligen Geistes in mir, von dem geschrieben steht: „Welche der Geist Gottes treibt, die sind Gottes Kinder.“ Ich weiß das, denn eines Theils begehre ich nicht nach dem Fleische zu leben, sondern tödte durch den Geist die Geschäfte des Fleisches, − andern Theils hab ich ein gewisses untrügliches Zeugnis, das Zeugnis des Geistes Gottes selber, daß ich Gottes Kind bin. Ich weiß, daß meines Geistes Trieb und Zug zu Gott göttlich ist, denn der Geist Gottes bezeugt mirs. Zu meinem inwendigen Fühlen und Wißen stimmt das von meinen Seelenstimmungen unabhängige Zeugnis des Wortes Gottes. Oder ist es nicht wahr aus Gottes Wort, daß meine Sünde von Christo bezahlt ist? Und ist es nicht eine Wirkung des Geistes nach dem Worte, wenn ich dem Werke Christi glaube und Frieden drin finde? Bezeugt es nicht Sein Wort und durchs Wort der Geist? Und wenn ich nun nicht mehr meines Willens zu sein begehre, sondern meine Schwachheit beweinend, Ruhe allein in Seinem Willen finde, wenn Sein Wille, auch wenn er mir weh thut, mich doch inwendig mehr, als der meinige, befriedigt und erfreut, − wenn ich Freude habe zu sterben dem sündlichen Leben und zu leben nach Seinem Sinn, ist dann nicht mein das Zeugnis: „Welche der Geist Gottes treibt, die sind Gottes Kinder?“ Mein Geist − hat, o Geist des HErrn, aus Deinem Worte gute Botschaft: Ich bin Dein.

 Erhalte mich in Deinem Namen! Verwirf mich nicht, wenn ich strauchle! Nimm Deinen Heiligen Geist nicht von mir, wenn die Sünde in mir wider meinen Geist Sturm läuft! Laß mir das Einzige, wenn ich nichts mehr habe, daß ich Dein, Dein Kind, Dein Erbe, Christi Miterbe, ein Erbe des ewigen Lebens sei.


Am neunten Sonntage nach Trinitatis.
1. Corinth. 10, 6–13.

 WErdet nicht Abgöttische“ − sagt der Apostel, und verweist warnend auf die Israeliten, von denen geschrieben steht: „Das Volk setzte sich nieder zu eßen und zu trinken und stand auf zu spielen.“

 Wie kommt denn dieser Vers von „eßen, trinken, spielen“ zur Abgötterei? Zwar stand 2. Mos. 32, 6., woher der Vers genommen ist, eßen, trinken, spielen, mit der Abgötterei im Zusammenhang; denn es war das Fest des goldenen Kalbes, zu dessen Feier sie aßen, tranken und spielten. Aber hätte nicht der heilige Paulus zur Warnung vor der Abgötterei vielmehr auf die in jenem Capitel vorausgehenden Verse 1–6 verweisen sollen? − Was ist’s? Sie aßen Götzenopfer, sie tranken Götzenwein, sie spielten, d. i. sie sangen und sprangen um den selbstgemachten Gott − und in all der Freude Leibes und der Seele dienten sie niemand, als eben dem Götzen, dem goldenen Kalbe. Ihr Eßen, Trinken, Spielen war Götzendienst.

 Warum hebt man aber das an diesem Platz hervor? Je nun. Ich denke an die Feste des lebendigen Gottes im Alten Testamente, daß man da auch fröhlich war und Ihm zu Dank und Ehren aß, trank, sang, und sprang. Und dann denk ich wieder an die Feste des lebendigen Gottes im Neuen Testamente, an Weihnachten, Ostern, Pfingsten und Kirchweih − und daß man da auch ißt, trinkt und springt. Und daß sich die Leute dann aufs Alte Testament berufen und für ihr Eßen, Trinken und Springen entschuldigt sein wollen. Es seien ja nicht Götzenfeste, die sie feiern, und dann thun sie ja auch nichts, als was man Gott zu Ehren im Alten Testamente auch gethan habe. − Und doch ist das Volk verführt. Und ich bedaure es von Herzen!

 Es ist wahr! Die ersten Christen waren selber gerne bei gemeinsamen Mahlzeiten − Leib und Seel freuten sich im lebendigen Gott. Aber wie sich meine

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 201. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/540&oldid=- (Version vom 1.8.2018)