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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

Am sechszehnten Sonntage nach Trinitatis.
Ephes. 3, 13–21.

 WEnn ein Mensch viele Sünden thut und trotz angewandter Mühe und Seelensorge doch nicht aufhört, so wird nicht der HErr müde, der einem jeden Menschen zur letzten Frist der Gnade den Augenblick des Todes gesetzt hat, − aber Menschen werden müde. Väter und Mütter ziehen die Hand ab von ungerathenen Söhnen und Töchtern! Ach das ist zu beklagen! − − Doch gibt es noch etwas Kläglicheres! Ein Vater liebender Kinder, oder ein Kind liebender Aeltern wird krank. Da wendet man alle Mittel an, deren man habhaft werden kann, − man scheut keine Kosten, − man opfert Tage und Nächte am Krankenbette des geliebten Menschen auf, − Angst beschwert das Herz und die Augen werden von Thränen roth. − Nun aber dauerts lange. Aus Tagen des Leidens fließen Monate und Jahre des Leidens zusammen, − aus der Krankheit wird Siechtum. Sollte man nicht denken, daß jeder Leidenstag, der dem Geliebten auferlegt wird, die Liebe zu ihm, die Sorge für ihn, die zarte Sorge mehren sollte? Wärs nicht in der Ordnung, daß aus den Leiden des Geliebten Liebesstärkung im Herzen der Angehörigen würde? Man sollte es denken − und sieh, es ist alles anders! Gewohnt werden sies, die Angst vergeht, die Thräne versiegt, die Theilnahme verstummt: mitten unter theuern Anverwandten wird ein siechender einsam − und findet mans dann am Ende auch nur noch auffallend, wenn neben dem Aechzen eines siechen Vaters das harmlose Gelächter seiner unangefochtenen, fröhlichen Kinder vernommen wird? − Ich weiß, was man sagen wird! Aber, aber − es ist traurig, daß die Liebe oft so sterblich ist und dem Geliebten manchmal nicht zum Grabe, geschweige weiter das Geleite gibt! − Ach, daß man der Leiden seiner Lieben müde werden kann!

 Es ist aber das alles kein Wunder! Denn der Apostel Paulus hat es ja nach dem ersten Verse unserer Epistel für möglich gehalten, daß man seiner Trübsale müde werden möchte zu Ephesus! Was sind denn seine Trübsale gewesen, wenn nicht die Ehre der Gemeinen? Was sind sie gewesen, wenn nicht die Glorie des Apostels selber, ja JEsu Christi selber? Was sind sie gewesen, als immerwährende Beispiele der Geduld, immerwährende Ermahnungen zur Nacheiferung? − Und wer ist durch sie gehindert oder gemindert worden? − Und doch kann man der Ehre Gottes, der Ehre Seiner Heiligen, der edelsten eigenen Ehre, himmlischer Beispiele und göttlicher Vermahnungen müde werden − und es können einem Gottes Helden beschwerlich werden durch ihre Treue, durch ihre Nachfolge JEsu! Ach HErr, verzeihe den Deinen ihre Schulden!


Am siebzehnten Sonntage nach Trinitatis.
Ephes. 4, 1–6.

 WEnn wir zur Demuth, zur Sanftmuth, zur Geduld, zur Liebe, zum Frieden vermahnt werden und vermahnen, so gefällt dies allen, die von irgend einem Hauche himmlischen Lebens angeweht sind. Wer wird in aller Welt jene heiligen, lieblichen Namen christlicher Tugenden nicht gerne hören? Wer verkennen, daß diese Namen herrliche, himmlische Güter benennen? − Aber wenn nun der Apostel weiter ruft: Ein Leib und Ein Geist! Wenn nun der Eine Leib erklärt wird als Eine sichtbare Kirche, die von Einem Geiste und durch den Geist von Einem Sinn und Muth belebt wird, wie dann? Wenn auf Grund dieser Worte behauptet wird, daß wie Ein HErr, so nur Ein Glaube sei und nicht mehrere rechte Glaubensarten, Glaubensbekenntnisse und was man alles zu des Glaubens Bildern und Werken zählt! Dann ist man vor den Ohren der jetzt Lebenden zum Thoren nicht allein geworden, der nimmer schauen wird, wovon

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 207. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/546&oldid=- (Version vom 1.8.2018)