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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

Confessionen. Die thun spröde, sparen ihre Weisheit, bis sie theuer geworden ist, weisen die Leidenden zu ihren Pfarrern − und nehmen sich endlich ihrer doch an. Oft gelingts dann einfach genug, oft nicht. Allemal hat die wahre Kirche Schmach bei ihren Kindern.

 Warum sind denn die Pfarrer Blumisten und Pomologen und jagen allerlei Allotriis nach und das, was ihres Amtes ist, vernachläßigen sie? Die neuern Pastoraltheologien reden freilich hieher Dienliches nicht. Aber man kann sich ja in den Rüstkammern der Vergangenheit umsehen. Ist es denn eine Schande, wenn man nichts weiß, von den Vätern zu lernen? Um nicht in den Geruch des Aberglaubens zu kommen, um bei einem unwißenden Volke ihres Namens und Gerüchts zu schonen, befaßen sie sich lieber gar nicht mit der Lehre von den Anfechtungen. Sie sollten lieber bei der ganzen Welt in übles Gerücht kommen, als einen Angefochtenen ohne Hilfe von sich laßen! Aber nein, sie sind Kinder der Welt und Zeit und wollen ihr gefallen. − Nicht also, meine Brüder! Der HErr möchte es fordern! Wir werdens verantworten müßen, wenn die Leute zu Baal nach Ekron gehen, weil wir sie nicht zu den Schätzen Jehovas führen! Laßet uns doch einmal sehen, daß die Neologie blind ist und nicht sieht, was nöthig ist und möglich. Laßet uns wieder lernen mit Angefochtenen umgehen − und die Irrenhäuser werden eine Menge Bewohner weniger haben. Vernachläßigte Anfechtung kann zur Narrheit führen. − Es gibt leibliche Anfechtungen d. i. solche, bei welchen leibliche Ursachen hauptsächlich im Spiele sind: da hilft der Arzt mehr, als der Pfarrer. In allen andern ist der Arzt, wenn auch nicht überflüßig, doch nur zweite oder dritte Person. Laßet uns doch helfen! − Es gibt sogenannte psychische Uebel, wo Seelsorge allein nicht ausreicht, wo eine psychische Behandlung erfordert wird. Aber warum bekümmert ihr euch nicht um diese und um die Seelsorge der Angefochtenen, welche doch jeden Falls in euern Bereich gehört? Fürchtet ihr die Aerzte? Ihr habt Ursache, wenn ihr nichts versteht, nichts thut, nichts leistet. Ihr werdet den Wahn, daß alle Anfechtungen aus der Apotheke ihren Trost holen müßen, zu einem verrosteten Uebel machen, wenn ihr nicht andere Wege einschlaget. Ich bitte euch, kümmert euch wenigstens um die Seelsorge der Angefochtenen, stellt euch meinetwegen unter die Aerzte: ihr werdet doch anfangen Erfahrungen zu machen − und dann wird sichs ändern.


Am zweiundzwanzigsten Sonntage nach Trinitatis.
Philipp. 1, 3–11.

 DEr in dir angefangen hat das gute Werk, der wirds auch vollführen bis an den Tag JEsu Christi!“ − Ich ruf es dem Täufling zu, der vom Brunnen der Taufe neugeboren weggetragen wird. Dann leuchtet mein Angesicht und meine Stimme jauchzt! − Ich sehe den Knaben, wenn seines Fleisches Wille sich wider Gottes Gebot und Zucht empört. Ich weiß, daß niemand unlieblicher als der Knabe in diesem Kampfe. Da heißt man ihn billig einen „ungezogenen“, aber ohne Schimpf, denn er kann nicht gezogen sein, weil er erst in der Zucht ist. Es kann noch alles werden! Ich rufe dem Knaben wie Schlachtruf und Ermunterung zu: „Der in dir angefangen hat, wird vollenden!“ − Ich sehe den Jüngling im guten Kampfe sich bemühen, thun, was er nicht will, nicht thun, was er will, − eine Sorge der Aeltern. Aber ich rufe dennoch, so lange einer kämpft, den Siegeston zu: „Der angefangen hat, wird vollenden!“ − Ich sehe den Mann im Schweiße innerer und äußerer Arbeit, in Geduld und Aufopferung sein Werk vollbringen und die Saat der Nachwelt säen. Ich rufe auch ihm im Frieden und in Zuversicht zu: „ER wird vollenden!“

 Aber wenn ich dich ansehe, sterbendes Angesicht eines Christen! Wenn ich dich, geliebte Seele, kämpfen, ringen sehe! Wenn des Geistes Leben über der letzten Arbeit des Leibes unsichtbar wird und verborgen in Gott ist alles Leben, das aus Gott kam! Wenn ich kämpfen sehe und nun mitkämpfe, − wenn ich deinen Tod mit ergreife und ihm JEsum weise, den er fliehen will! Dann, ja dann weiß ich, was es gilt! Nicht lispelnd, nicht leise, nicht mit Einem Tone, sondern aus allen Kräften meines Wesens rufe ich dann: „ER wird vollenden!“ − Ja, ER vollendet dich, mein sterbender Freund, − Er vollendet dich, und

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 211. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/550&oldid=- (Version vom 1.8.2018)