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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

Juden und sie versäumten dennoch zu bedenken, was zu ihrem Frieden diente. Laß uns doch nicht fehlen in Abrahams, Isaaks und Jacobs Gesellschaft! Gib uns doch, wenn wir am hellen Tage der Gnaden den Weg unter den Füßen verlieren wollen, treue Leitsterne, wie wir sie bedürfen, Hirten und Aelteste, die uns arme Schäflein sicher führen und unsrer Schwachheit und Krankheit zu Statten kommen, daß wir nicht müde werden, zu wallen, bis wir bei Dir sind, wo ewiges Licht ist und in diesem Deinem Lichte Deine Heiden, Deine Juden, Deine heilige Kirche und alle ihre Glieder! Amen.




Am ersten Sonntage nach dem Erscheinungsfeste.

Evang. Luc. 2, 41–52.
41. Und Seine Eltern giengen alle Jahre gen Jerusalem auf das Osterfest. 42. Und da Er zwölf Jahre alt war, giengen sie hinauf gen Jerusalem, nach Gewohnheit des Festes. 43. Und da die Tage vollendet waren, und sie wieder zu Hause giengen, blieb das Kind JEsus zu Jerusalem, und Seine Eltern wußten es nicht. 44. Sie meinten aber, Er wäre unter den Gefährten, und kamen eine Tagreise, und suchten Ihn unter den Gefreundten und Bekannten. 45. Und da sie Ihn nicht fanden, giengen sie wiederum gen Jerusalem, und suchten Ihn. 46. Und es begab sich nach dreien Tagen, fanden sie Ihn im Tempel sitzen mitten unter den Lehrern, daß Er ihnen zuhörete, und sie fragete. 47. Und alle, die Ihm zuhörten, verwunderten sich Seines Verstandes und Seiner Antwort. 48. Und da sie Ihn sahen, entsatzten sie sich. Und Seine Mutter sprach zu Ihm: Mein Sohn, warum hast Du uns das gethan? Siehe, Dein Vater und ich haben Dich mit Schmerzen gesucht. 49. Und Er sprach zu ihnen: Was ist es, daß ihr Mich gesucht habt? Wißet ihr nicht, daß Ich sein muß in dem, das Meines Vaters ist? 50. Und sie verstanden das Wort nicht, das Er mit ihnen redete. 51. Und Er gieng mit ihnen hinab, und kam gen Nazareth, und war ihnen unterthan. Und Seine Mutter behielt alle diese Worte in ihrem Herzen. 52. Und JEsus nahm zu an Weisheit, Alter und Gnade bei Gott und den Menschen.

 DIeses Evangelium eröffnet uns einen Blick in die Kindheit und Erziehung JEsu. Wir sehen eines Theils Seine Eltern und deren Bemühung um Ihn, andern Theils Ihn Selbst in Seinem Werden und Gedeihen. Von Ihm Selbst erzählt unser Text mehr, als von Seinen Eltern; so wird euch auch dieser Vortrag mehr von Ihm, als von Seinen Eltern zu berichten haben.

 Von den Eltern JEsu und der Erziehung, welche sie Ihm gegeben haben, sagt das Evangelium zweierlei, löbliches und solches, was wir, bei aller Ehrfurcht vor ihnen, doch nicht loben dürfen. Betrachten wir beides.

 Es war eine Satzung und Sitte in Israel, daß die Männer an den drei hohen Festen des HErrn zur Anbetung nach Jerusalem zogen. Die Frauen hatten Erlaubnis mitzugehen. Gemäß dieser Satzung und Sitte giengen denn auch Maria und Joseph alljährlich zum Osterfest hinauf nach Jerusalem. Die Festzüge, zu welchen die Einwohner einer und derselben Gegend zusammenzutreten pflegten, gehörten zu Israels hohen Freuden; alt und jung sehnte sich, an ihnen Theil zu nehmen. Die Knaben durften vor dem zwölften Jahre nicht im Hause des HErrn erscheinen; aber von dem zwölften Jahre an, wo sie die herrlichen Stufen- oder Pilgerpsalmen, die man unter Weges zu singen pflegte, und alle andere Kenntnisse, welche zu einer gesegneten Festfeier nöthig waren, sich angeeignet haben konnten, durften auch sie mit hinaufziehen. Nicht eher als in diesem Alter, aber da gewis mit großen Freuden, zog auch unser HErr hinauf unter den Haufen, die da feiern. Von Seinen Eltern geleitet,

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 066. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/77&oldid=- (Version vom 22.8.2016)