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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

Am zweiten Sonntage nach dem Erscheinungsfeste.

Evang. Joh. 2, 1–11.
1. Und am dritten Tage ward eine Hochzeit zu Cana in Galiläa; und die Mutter JEsu war da. 2. JEsus aber und Seine Jünger wurden auch auf die Hochzeit geladen. 3. Und da es an Wein gebrach, spricht die Mutter JEsu zu Ihm: Sie haben nicht Wein. 4. JEsus spricht zu ihr: Weib, was habe Ich mit dir zu schaffen? Meine Stunde ist noch nicht gekommen. 5. Seine Mutter spricht zu den Dienern: was Er euch saget, das thut. 6. Es waren aber allda sechs steinerne Waßerkrüge gesetzt, nach der Weise der jüdischen Reinigung; und giengen je in einen zwei oder drei Maß. 7. JEsus spricht zu ihnen: Füllet die Waßerkrüge mit Waßer. Und sie fülleten sie bis oben an. 8. Und Er spricht zu ihnen: Schöpfet nun und bringet es dem Speisemeister. Und sie brachten es. 9. Als aber der Speisemeister kostete den Wein, der Waßer gewesen war, und wußte nicht, von wannen er kam, (die Diener aber wußten es, die das Waßer geschöpft hatten,) rufet der Speisemeister dem Bräutigam 10. und spricht zu ihm: Jedermann gibt zum ersten guten Wein, und wenn sie trunken worden sind, alsdann den geringern; du hast den guten Wein bisher behalten. 11. Das ist das erste Zeichen, das JEsus that, geschehen zu Cana in Galiläa, und offenbarete Seine Herrlichkeit und Seine Jünger glaubten an Ihn.

 DEr Ton, welcher in diesem Evangelio vom Anfang bis zu Ende wiederhallt, ist: „Er offenbarte Seine Herrlichkeit.“ Eine Offenbarung der Herrlichkeit Christi haben wir heute zu erkennen, zu bekennen, zu predigen. Dabei ist es uns aber sehr nahe gelegt, von noch etwas anderem zu reden, nemlich von der Herrlichkeit der heiligen Ehe. Der Text redet davon nicht bloß andeutungsweise und unsere Zeit, in welcher die Ehe wie nie zu Unehren gekommen ist, fordert uns auf, dem Texte nachzufolgen und dicht neben der Herrlichkeit des HErrn von der Herrlichkeit Seiner Stiftung, der heiligen Ehe, Zeugnis abzulegen. So werde denn heute des HErrn Herrlichkeit und das Lob der Ehe zugleich gepredigt, und niemand sage, gegenüber diesem Evangelio, daß wir der Ehe einen zu ehrenvollen Platz einräumen.

 Wenn der heilige Schriftsteller sagt: „Er, der HErr offenbarte Seine Herrlichkeit“; so deutet er damit allerdings zunächst auf das große Wunder hin, das er erzählt, in welchem der Herr Seine Erhabenheit und Macht über die Creatur des Waßers bewies. Es tritt uns aber im Verlauf der Textgeschichte auch Christi Erhabenheit über die Menschen so leuchtend vor Augen, daß ich, obschon erst vor acht Tagen Aehnliches zu bemerken war, dennoch auch heute mein armes Wort von der Majestät des HErrn nicht sparen, sondern es Christo zu Füßen legen will. Ich wiederhole: Maria, JEsu Mutter, ist über andere Menschen an Gnade und Würde erhaben. Ich wiederhole aber auch ein Zweites: Eben weil sie so erhaben ist, konnte sie leicht überschätzt werden und wurde es auch im Verfolg der Zeit, wie nur zu sehr der Mariendienst beweist, der gewis hier auf Erden niemanden mehr ein Greuel ist, als ihr selber, der Seligen im Himmel, die, allezeit des HErrn demüthige Magd, es dort, wo sie Ihn im Lichte schaut, gewis am allermeisten ist. Wohl sah der allwißende Geist des HErrn von Anfang vorher, welch einen üblen Dienst die armen Menschenkinder der heiligen Gottesmutter erweisen würden; darum sorgte er dafür, daß im geschriebenen Worte manches Zeugnis nicht allein von der Erhabenheit JEsu auch über Seine Mutter, sondern auch von ihrer sündlichen Schwachheit und Unvollkommenheit zu finden wäre. In diesem Betreff bildet das heutige Evangelium

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 073. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/84&oldid=- (Version vom 22.8.2016)