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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

zuweilen den Seinigen heilige, ungezwungene, von Qual befreite, zufriedene, fröhliche Ehelosigkeit, kennt und gibt ihnen aber auch oftmals heilige Ehen und reichet zum Beginn derselben den Freudenwein, den Er geschaffen. Denn in der That, der Trost- und Freudenbecher, welchen Er auf der Hochzeit zu Cana einem Ehepaare reichte, ist allen vermeint und allen gebracht, und es dürfen alle Seine Eheleute denselben als ihnen dargereicht erkennen.

 3. Der HErr reicht Seinen Becher im Evangelio einem armen Brautpaare und dessen Gästen. Denn gewis, wäre das Brautpaar nicht arm gewesen, so hätte es für seine Gäste den Wein selbst herbeizuschaffen gewußt. Reicht aber der HErr den Freudenwein auch armen Brautleuten, so ist offenbar, daß Ihm auch die Ehe armer Leute wohlgefällt, daß auch ihr Hochzeittag in Seinen Augen ein Freudentag ist. Den Reichtum hat er nur wenigen gegeben, aber die Ehe ist eine Stiftung und ein Gemeingut aller Menschen. Ihr merket wohl, meine Brüder, wohin ich ziele? Es ist mir angenehm, wenn ihr mich verstehet: ich habe ein heiliges Recht und eine hohe Pflicht, gerade herauszugehen und zu sagen, was ich meine. Man hat den ehelosen Stand der Mönche vor der Reformation als ein Uebel angesehen und Gott gedankt, daß er von den Reformatoren in seinem rechten Werth und Unwerth gezeigt worden ist. Und doch, was ist der ehelose Stand der Mönche gegen die Ehelosigkeit unzähliger armer Leute in unserm Lande? Die Ehelosigkeit der Mönche war im Ganzen eine freiwillige und selbsterwählte und deshalb immerhin nicht so schlimm, als der heillose Cölibat der Armen, die des Rechtes, eine Ehe zu schließen, bloß darum verlustig gehen müßen, weil ihr Nahrungsstand keine menschlich sichere Grundlage und Aussicht hat. Die Ehelosigkeit unserer Armen ist eine unfreiwillige, erzwungene − und alle Folgen, alle Sünden derselben fallen nicht bloß auf die Armen, sondern auch auf die, welche durch Verweigerung der Ehen ihren Nächsten in Versuchungen führen, denen er nicht gewachsen ist, denen zur Heilung und Hilfe nach dem ausdrücklichen Zeugnis des heiligen Apostels Paulus die Ehe verordnet ist. Mag man immerhin diese und jene zeitlichen Nachtheile armer Ehen hervorheben: sie heben doch alle das göttliche Recht des Armen, in der Ehe zu leben, nicht auf. Gottes Schöpfung Mannes und des Weibes, Seine heilige Ordnung, des HErrn JEsus ausgesprochenes Wohlgefallen an der Hochzeit armer Leute läßt sich mit all dem nicht wegstreiten, − und ich wage es deshalb, in diesem Stücke die Zeit meiner Amtsvorfahren, die in ihre Trauregister die Ehen nicht bloß armer Leute, sondern auch der Bettler einzutragen hatten, für christlicher und gesegneter zu halten als meine Zeit. Der HErr segnet die Ehen der Armen mit einem Trost und Freudenbecher: wir Seine Knechte stehen mit gebundenen Händen und dürfen die Ehen der Armen nicht segnen! Arme Ehen dürfen wir nicht segnen, nicht eintragen ins Verzeichnis christlicher Eheleute; dafür tragen wir in die Geburtsregister zahllose arme, außerehelich geborene Kinder ein, die gewis den Reichtum des Landes nicht mehren, deren Ursprung ihrem Vaterlande sicherlich keinen Segen bringen wird! − Das klagen wir dem HErrn! Der das Ohr gemacht hat, sollte der nicht hören? Der Erzhirt und Bischof Seiner Heerde, wird Er dem Uebel nicht steuern und Seinen zwiefach Armen Bahn machen, aus dem versuchlichen Zustand der Ehelosigkeit in den stillen und friedlichen der Ehe einzukehren? − Er helf uns doch und nehme diese Schmach, diesen Schandfleck von uns!

 4. Noch eins, geliebte Brüder, laßet mich bemerken, ehe ich schließe. Sieht man nemlich die Geschichte unsers Textes an, so findet man, daß doch im Grunde der Mangel an Wein nicht sowohl eine Noth, als bloß eine von den vielen, kleinen Verlegenheiten war, auf die sich jedes neue Ehepaar von Anfang seines ehelichen Standes gefaßt zu machen hat. Das im Sinn behaltend, finden wir also, daß der HErr auf der Hochzeit zu Cana nicht einmal aus einer Noth, sondern nur aus einer Verlegenheit geholfen hat, und zwar durch ein Wunder. Er selbst war in der Wüste nach vierzigtägigem Fasten in großer Noth gewesen, ohne sich durch ein Wunder helfen zu mögen; und zur Beendigung einer geringen Verlegenheit thut Er ein Wunder, und zwar Sein erstes. Welch ein mildes Auge des himmlischen Freundes wendet sich zur heiligen Ehe − und welch ein Trost für Eheleute ist es, daß sie nun auch in ihren Verlegenheiten den HErrn anrufen, auf den Herrn hoffen dürfen, den Hagar genannt hat „du Gott siehest mich“! Und wie groß ist die Ehre, welche der HErr der Ehe gönnt: zu ihrer Verherrlichung thut Er Sein erstes Wunder und will vom ersten Anfang Seines öffentlichen Lebens erkannt

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 078. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/89&oldid=- (Version vom 22.8.2016)