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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

Der Aussatz des Aussätzigen ist vor Seinen Augen, das gichtbrüchige Wehe des Hauptmannsknechtes ist ferne von Ihm: Er herrscht aber über beide. Ein Wort − und der nahe Aussatz schwindet, ein Wort − und die Krankheit des entfernten Knechtes entflieht. JEsu mächtiger Wille bewältigt alles; Seiner Macht entzieht sich nichts.

 Und was einerseits als Beweisung Seiner Macht erscheint, das erscheint anderer Seits auch als lautredender Beweis Seiner unaussprechlichen Güte und Menschenfreundlichkeit. Es ist vollkommen richtig, was der Hauptmann meint: die Uebel des Lebens müßen dem HErrn gehorchen, wie dem Hauptmann seine Soldaten und Kriegsknechte. Aber dieser Gehorsam, diese offenbare, schnelle Fügsamkeit − sie haben mit dem freudigen Herrendienste frommer Knechte nichts gemein. Die Lebensübel gehören an und für sich selbst nicht zum Reiche Christi, sie stammen nicht aus demselben, sie sind von der Sünde geboren und dem Reiche der Finsternis entstammt. Sie sind vom König der Finsternis nicht gezeugt, um sich mit dem Himmelskönig zu Dienst und Heil der Menschen zu vereinigen. Dienen sie, so ist es des HErrn Macht, welche sie dazu zwingt − und fliehen sie, so ist es Sein unwiderstehliches Gebot, was sie von dannen schreckt. Er aber ist, wenn Er sie mächtig bezwingt, wenn Er ihnen hart und scharf gebeut, voll Lieb und Freundlichkeit gegen uns − und was Seine mächtige Hand regiert, Seine großen Thaten in’s Werk und zur Vollendung ruft: es ist nichts als Güte und Heilandstreue. Groß an Macht − nicht minder groß an Liebe, Güte, Treue erscheint Er, wenn Er unsre Uebel bezwingt. Er stellt Sich wider alles Uebel, das wir verschuldet haben, auf unsre Seite, handelt nach unsern sehnlichen Wünschen, verjagt das Uebel und gibt dem Aussätzigen, dem Knechte des Hauptmanns und allen Leidensbrüdern, die es begehren und denen es also gut ist, das selige Erfahren der Befreiung von ihren Uebeln und drückenden Leiden, das Vorspiel und den Anfang Seiner vollkommenen Erlösung und Freiheit Leibes und der Seelen, auf die wir von Tag zu Tage sehnlicher warten und danach verlangen. Und eben damit wird der HErr, vor dessen Größe wir im Staub liegen, doppelt groß in unsern Augen: groß wenn Er uns demüthigt, noch einmal groß und größer als zuvor, wenn Er uns durch Hilfe und Heil erhöht und die armen, verschmachteten Schafe in Seine heilenden Arme nimmt.

 Zwar sind es nur leibliche Gebrechen und Leiden, die wir in unserm Texte den Worten JEsu weichen sehen: aber ists nicht dennoch eine göttliche Macht, welche sie zum Weichen bringt? Und ist nicht derjenige, auf deßen Machtgebot sie weichen, derselbe Heiland und Erlöser, der auch unserer Seelen ewiger Noth Rath und Hilfe erfunden, zuwege und ans Licht gebracht hat? Was ist der eigentliche Zweck des Daseins, der Menschwerdung, des Lebens und Wirkens dieses Menschensohnes? Unsre ewige Erlösung ist Sein Lebenszweck − dahin ringt Er, und von diesem großen Werke sind all’ Seine leiblichen Wunderwerke und Hilfleistungen nur Andeutungen, Weißagungen, Vorboten, Pfänder, − ja, man könnte sagen, sie gehören zur Erlösung selbst. Man könnte es sagen, − warum red’ ich also? Man muß es sagen. Er will uns nicht bloß die Seele retten und den Leib verachten, in seinen Plagen liegen laßen; sondern gleichwie Er in der Schöpfung den Menschen aus Leib und Seele zusammengefügt hat, Leib und Seele in alle Ewigkeit des Menschen innigstverbundene Bestandtheile sein sollten; so will Er auch mit den Seelen die Leiber, die Leiber wie die Seelen retten, und zum Pfande dereinstiger ewiger Genesung unsers Leibes schenkt Er eben den Kranken Seiner Zeit die zeitliche Genesung des Todesleibes. Alles, was Folge und Strafe der Sünde ist, auch Leibeskrankheit und Uebel dieser Zeit, wird in Seinen Leidenskelch gemischt − und mit vollkommener Wahrheit geschieht die Anwendung, welche Matthäus in unserm Texte (Vers 17.) von jener hochberühmten Stelle Jesaiä macht: „Er hat unsre Schwachheit auf Sich genommen und unsre Seuche hat Er getragen.“ In Kraft Seiner Leiden, die Er überwinden wird, − weil Er leidet und leiden und büßen und abbüßen wird, weil Er alle Seuchen und Krankheiten auf Sich nehmen wird, darf Er seine Gottesmacht ohne Verletzung der Gerechtigkeit Gottes anwenden, schon vor Seinem Leiden Genesung und Gesundheit zu schenken. In der Kraft Seiner Leiden wandelt Er in den Tagen Seines Erdenlebens umher und erweist Sich allenthalben als einen Heiland in allen Leibesnöthen. Was einem jeden fehlt, Kleines oder Großes, das hat Er; was einen jeden drückt und beschwert, das weiß Er zu nehmen. Seis Wein und Freude, seis Brot und Stärke, seis Gesundheit oder Leben, − was man bedarf, Er ist kraft Seiner Leiden reich über alle. Seis Aussatz, seis Gichtbrüchigkeit,

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 081. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/92&oldid=- (Version vom 22.8.2016)