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Christo einst so wehe that – und der Glaube und die Liebe zu Christo machen die schmale Straße gangbar, die kein Weltkind geht.


IV.

 So sehr ich darum euch allen, meine Lieben, die Beschneidung eurer Herzen und die Heiligung gönne, ohne welche niemand den HErrn sehen kann; ebensosehr muß ich euch den Glauben wünschen, weil ohne Glauben keine Heiligung ist. Wie aber ohne Glauben keine Heiligung ist, so ist auch kein Glaube ohne Buße; wie Glaube die Quelle der Heiligung ist, so ist die Buße zwar nicht die Quelle, aber die unerläßliche Vorbedingung des Glaubens. Über das Maß der Buße, welche mit dem Glauben verbunden sein muß, läßt sich nichts vorschreiben; weder wie viele Sünden, noch wie tief und sehr sie gefühlt werden müssen, ist von Gottes Wort bestimmt. Es kommt überhaupt weniger auf die Erkenntnis einzelner Sünden, als auf die Erkenntnis des ganzen verderbten Zustandes unserer Herzen an – auf die Erkenntnis unserer Verderbtheit und Hülflosigkeit, – auf eine Erkenntnis, welche bei weitem mehr demütigt, als die Erkenntnis einiger weniger Sünden. Doch auch wie tief einer sich selbst erkenne, welche Blicke er in das Labyrinth seines Herzens gethan habe, das ist weniger die Frage, als daß er nur überhaupt solche Blicke gethan habe, durch welche er von seiner Hülflosigkeit und Strafwürdigkeit überzeugt und deshalb geneigt wird, sich durch Christum mit Gott versöhnen zu lassen.

 Wer nicht seine Strafwürdigkeit und Hülfsbedürftigkeit erkannt hat – wer nicht einsieht, daß das Vertrauen auf eigene Kraft zu nichts führt, als zu immer neuen Sünden, zu immer neuer Erfahrung unserer Verderbtheit, der, meine Brüder, wirft auch sein Vertrauen auf sich selbst nicht weg, der giebt auch die Hoffnung nicht auf, sich selbst helfen zu können, selbst zur Heiligung hindurchdringen zu können, der sieht in Christo nichts, als einen seinesgleichen, der mühsam zur Tugend emporstrebte, nimmt Ihn wohl gar zum Beweis und Beleg, daß der Mensch aus eigener Kraft zur Tugend dringen könne, der hält es für eine Thorheit und für ein