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welche ER gethan hat und noch thut. Wo ER ging, da bezeichneten Wunder Seinen Weg: Sein Mund, Seine Hand, ja der Saum Seines Kleides fließen und triefen von wunderbaren Lebenskräften. Wenn man Seine Geschichte liest, so sieht man die Alttestamentliche Zeit wiederkehren, nur lieblicher und verklärter, nur schöner um so viel, als der Geist schöner ist, denn der Leib, – nur daß ER keine Strafwunder, sondern eitel Liebeswunder thut. Ja, wahrlich, mein Heiland, Dein Lauf auf Erden und der gewöhnliche Weltlauf passen nicht zusammen: die Welt will alles nur recht natürlich, nur recht alltäglich haben: Du passest nicht zu ihrem Sinn, – mit ihrem Maaße kannst Du Dich nicht messen lassen. Du bist viel zu wenig, wie sie, als daß sie Dich lieben könnte: Dein Thun ist alles unerwartet, Deine Gedanken sind nicht der Welt Gedanken, Deine Wege sind so viel höher, denn ihre Wege, als der Himmel höher ist, als die Erde, – Dein Thun gleicht Keinem, als Dir, – Du heißest Wunder und Dein Thun heißt wunderbar!

 1. Wenn man von dem wunderbaren Thun des HErrn ausreden sollte, so würde die Zeit nicht langen, welche von heute bis auf den Tag der Zukunft JEsu vergehen wird, selbst wenn sie tausendmal länger wäre, als sie sein wird. Aber einiges sei mir vergönnt, anzuführen.

 Wie wunderbar, wie unbegreiflich ist Seine Liebe. Sonst galt es, daß man nur das Liebenswürdige lieben sollte, und wer einen schlechten Menschen liebte und suchte, den nannte man niederträchtig, und sein Name wurde geschändet vor der Welt. Christus aber ist der Heiligste, und Seine heiligste Liebe trifft gerade den verächtlichsten, aller Liebe völlig unwürdigen Gegenstand, die Welt, – und in ihr am meisten die verachtetsten, versunkensten Leute, die verirrtesten Schafe. Er kommt aus der Gesellschaft anbetender, makelloser Engel – um der Zöllner und Sünder Freund zu werden. Er wird deshalb von Jedermann getadelt und bleibt sich dennoch gleich – bis es Ihm endlich zum Ruhm gediehen ist und Seine Kirche Ihm anbetend singt: „Mein Heiland nimmt die Sünder an!“