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ruhen zu lassen, wo Gott sie hingelegt, und das angeerbte Verderben eine Sünde zu nennen. Und so ist’s ja auch nach dem eigenen Gewissen des Menschen. Das Gewissen schreit ja wider unsere Blindheit, unsere Irrtümer, wider unsern Kampf gegen Gottes Wort, wider den Schutz, den wir dem Bösen angedeihen lassen, schreit ja wider unsere Freude am Bösen, an verbotener Lust, an eitler Weisheit, – es läßt uns ja keine Ruhe, solange wir nach eigener Weisheit und eigenem Willen wandeln; es züchtigt uns und schlägt uns bei jeder Aufwallung des Bösen – und giebt Zeugnis dem göttlichen Worte, daß wir strafwert und schuldig sind um des angeerbten Verderbens willen! Gott und unser Gewissen zeugen von unserm Verderben, was wollen wir machen – wir müssen uns darein ergeben, Sünder von der Empfängnis an und strafwürdig von Kindesbeinen an zu sein.




 O meine Teuren, wenn nun diese Lehre wahr ist, wie sie denn wahr ist, in welch beweinenswertem Zustande befindet sich dann das menschliche Geschlecht! Und wie gefährlich ist er, dieser Zustand, von welchem der HErr selbst sagt, daß er uns ins Verderben unserer Seele für ewige Zeiten stürzen würde, wenn nicht irgendwie eine völlige Umgestaltung, eine ganz neue Geburt möglich gemacht wird (Joh. 3, 5. 6).

 O lasset uns nun ferner nicht so vornehm über die Erbsünde hinwegsehen, sie ist ja ein Sumpf, aus dem wir damit nicht gezogen sind, daß wir über ihn wegsehen! O wollen wir in Zukunft keinen Spott mehr über sie ergehen lassen, wir spotten ja nur über unser Unglück, und werden durch unsern Spott um kein Haar glücklicher, sondern unsere Verdammnis wird nur desto größer! Wenn ein zum Tode Kranker über seine Todeskrankheit spotten wollte, das wäre Lästerung, wenn er es nicht im gewissen Bewußtsein einer höheren Genesung thäte!

 Nicht spotten, Brüder, Schwestern, wollen wir über die Erbsünde ferner, sondern lieber von ihren Fesseln frei zu werden trachten. Es giebt, Gott sei ewig Dank! eine Befreiung von derselben, aber nur eine und sonst keine. Der