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und die Dinge ansehen, wie sie sind – und nach ihrem wahren Werte zu schätzen! Werfet euch nicht mehr forthin euren Versuchungen in die Arme! Man sagt, es gebe Seen, welche den, der sie länger betrachtet, einladen, sich hineinzustürzen und darinnen unterzugehen. Besprechet euch nicht so viel, ob ihr der Versuchung nachgeben wollet oder nicht, sonst werdet ihr von ihr mit unwiderstehlicher Gewalt in die Tiefen des Fluches Gottes gezogen werden. Schlafet keinen so schweren Schlaf! Euer Schifflein schwankt und die Wellen drohen, es zu ersäufen – es ist kein Christus im Schifflein, darum keine Hoffnung der Errettung! Wo eilst du hin, leichtsinniges Schifflein, – weißt du nicht, daß die Wellen dir feind sind – daß deine Sünden über dich kommen, wie große Wasser? Steig aus – rufe JEsum an, daß ER dich aufnehme in Seinen Kahn, in Sein Schiff! Selig sind Seine Leute – selbst wenn ER schläft!


IV.

 Als die Not groß geworden war in dem Schiffe und auf der See, als der Jünger Glaube fast zerrinnen wollte, da nahmen sie den Rest ihres Glaubens zusammen, eilten zu JEsu und riefen: „HErr, hilf uns, wir verderben!“

 Es giebt einen Glauben, welcher in Nöten nicht so ängstlich schreit. Es giebt einen Glauben, der selbst in inwendigen, gewaltigen Anfechtungen des Gemüts, – in Todesnöten der Seele doch nicht schreit, sondern stille ist Seinem Gott. Einen Glauben, der, wenn er vor seinem Grabe steht, spricht, wie Christus vor des Lazarus Grabe: „Ich danke Dir, daß Du Mich erhört hast!“ Einen Glauben, der, wenn Jammer und Not ihn umgeben, wenn er durch Feuer und Wasser gehen muß, still den Polarstern der ewigen Gottesverheißung betrachtet und nicht zweifelt. Einen Glauben, der bei annahendem Schrecken sich an JEsu Brust verbirgt und spricht: „Der HErr ist mit mir, darum fürchte ich mich nicht (Ps. 118, 6). Du sollst streiten, ich will stille sein!“ Einen Glauben, der, wenn die Winde stürmen und die Wasser brausen, seine Segel einzieht und sein Ruder beiseite legt – und stille harrend weiß, daß