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V.

 JEsus erwacht, und Sein Erwachen ist, wie Sein Schlafen – voller Ruhe. Sein Auge ist ungeblendet, mit dem ersten Blick Seines erwachenden Auges erkennt ER den eigentlichen Sitz des Jammers, und zwar nicht im Wind oder Wasser, sondern im Kleinglauben und in der Furcht der Bedrängten! Sein Auge und Seine männlich-sanfte Stimme hilft da zuerst, wo zuerst geholfen sein muß, ER heilt ihren Glauben durch Bestrafung und nimmt ihren Gemütern die Furcht durch Seine Ruhe. Dann erst nimmt ER das Schrecknis ihres Glaubens und den Gegenstand ihrer Furcht hinweg, nachdem jenes kein Schrecknis und dieses kein Gegenstand der Furcht mehr war. ER thut, wie eine Mutter mit ihrem Kinde, das sich vor einem bellenden Hündlein fürchtete; erst spricht sie zum Kinde, dann erst zum Hündlein: sei stille! – JEsus steht auf, noch schwankt Sein Schifflein, noch lärmt die See und der Sturm tobt; nun hebt ER Seine Hand auf, Sein Mund öffnet sich, ruhig – ohne viel Gebärden – spricht ER zum Winde: „Verstumme!“ – zum Meere: „Sei still!“ – und auf Sein Wort ist plötzlich, gewaltig, vollständig die Hülfe gekommen, nach welcher die Jünger verlangt hatten. Der Sturm ist weg, die Wellen sind spiegelglatt und eben, friedsam spielen sie ums Schiff – die Morgenröte liegt freundlich auf den Bergen, die rings ums Ufer der HErr gebaut hat. Den Abend lang währt das Weinen nicht – nur eine kleine Zeit der Nacht – am Morgen kehrt die Freude ein (Ps. 30, 6). Der stille JEsus steht in der stillen Welt – die Thränen, das Klagen sind abgewischt! Freundlich schaut ER den Jüngern ins Angesicht, diese sind alles Jammers ledig, es war plötzlich in ihrem Gemüte anders geworden, wie es plötzlich auf der See anders geworden war! Ihr Auge glänzt, ihre Seele ist zu Ihm gezogen, in ihrem Herzen heißt es: „Meister, Du bist Gottes Sohn! Du bist der König in Israel!“

 Liebe Brüder! Ehe der HErr half, schalt ER den Kleinglauben Seiner Jünger und heilte sie dadurch vom