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klagt stündlich wieder, – ach! das Auge wird nicht trocken, und es giebt viele, viele Sünden zu beweinen, auch bei den Wiedergeborenen. Da bittet der ewige Hohepriester, daß der Vater um Seines vollgültigen Leidens und Sterbens willen uns täglich alle Sünden reichlich vergebe, täglich wieder, – täglich Vergebung für alle, die alten wie die neuen Sünden zusichere, und zwar nicht kärglich, sondern nach dem unerschöpflichen Reichtum Seiner Gnade und Langmut. Täglich bittet der ewige Hohepriester, täglich wird Sein Gebet erhört, täglich erfährt es unser Herz, und Sein Geist wäscht am Ende eines jeden Tages unsere Füße, welche vom Tageslauf staubig geworden sind, und wir steigen rein und heilig auf unser Lager.

 2. Aber nicht das allein – Seine Fürbitte hat weitere Arme und einen größeren Segen. Lasset uns aus dem hohenpriesterlichen Gebete (Joh. 17) selbst deren weiteren Inhalt lernen.

 a) „Ich bitte nicht,“ betet ER zum Vater, „daß Du sie von der Welt nehmest, sondern daß Du sie bewahrest vor dem Übel!“ (V. 15). Es ist für Ihn und Seine Kirche ein kleiner Triumph, wenn die Christen den Anfechtungen der Welt durch den Tod entnommen werden. Einen größeren Sieg will ER den Seinigen geben: sie sollen mitten in der Welt, die Schafe mitten unter den Wölfen, die Schifflein mitten im Sturm, die Blumen mitten in der Kälte bleiben – und vor dem Übel, vor neuer Sünde, vor Fall und Abfall gnädiglich bewahrt werden. Seine Kraft soll in den Schwachen mächtig sein, zu überwinden. – Der Löwen Mund soll zugehalten werden, daß sie die Seinigen nicht beschädigen dürfen! Fürchte dich also nicht, liebes Herz, vor der Anfechtung; dein Fürbitter betet sie zu schanden. Eins laß dir gesagt sein: „Kindlein, bleibe bei Ihm!“ Dann wird Seine Fürbitte herabtriefen in dein Herz mit Segen und Kräften, wie der Tau von dem Gebirge Hermon auf die Berge Zion! Fürchte dich nicht, überlaß dich Seiner Fürbitte – sie wird dir mächtiger in deinem Lebenslauf dienen, als der Engel Raphael dem reisenden Tobias gedient hat.