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Händen die Gabe des Zehnten. In Abrahams Leben aber geht mit diesem Segen Melchisedeks sichtlich eine neue, himmlischere Zeit an. So sehen wir auch an dem Beispiel des Melchisedek (1. Mos. 14, 19; Hebr. 7, 1. 6. 7), daß Segnen ein wesentliches Stück des Priestertums ist.


II.

 Nach diesem brauchen wir eigentlich von Christo nichts zu wissen, als daß ER ein wahrhaftiger Priester ist, um daraus auch gewiß zu wissen, daß zu Seinem Amte das Segnen gleicherweise gehört habe. Und da wir von Seinem unvergänglichen Priestertum längst überzeugt sind, so zweifeln wir auch an Seinem unvergänglichen Segensamte nicht. Und wenn wir uns erinnern, daß Christus Gott und Mensch in einer Person ist, so müssen wir Seinen Segen für kostbarer anerkennen, als alle Segen alt- und neutestamentlicher Priester. Denn Sein Segen muß göttlich und menschlich zugleich sein. Stellt euch einen frommen Vater, eine liebreiche Mutter vor, welche, nach dem allgemeinen Priestertum des Neuen Bundes, zu irgend einer feierlichen Zeit des Jahres beschließen, ihren Kindern den Segen – Vater- und Muttersegen – zu erteilen: so menschlich, freundlich, lieblich muß auch der Segen Christi sein. Denn wer für uns Mensch ward, um für uns zu sterben und unserm Elend, es mag Namen haben, welche es will, Abhülfe zu thun und eine völlige Erlösung zu stiften, wer diese Erlösung mit Überwindung nie genug erkannter und erwogener Hindernisse vollbringt, der, Brüder, hat ein Herz, reicher an zärtlicher Liebe, als Väter und Mütter. Seine Segnungen, aus einem für uns durchbohrten Herzen fließend, müssen menschlicher, freundlicher, lieblicher sein, als Vater- und Muttersegen. Dazu so viel höher der Himmel ist, als die Erde, ja, so viel größer und gewaltiger Gott ist, als ein Mensch, so viel Unterschied zwischen Gottes Werken und Menschenwerken ist: ein ebensolcher Unterschied ist zwischen Christi Segen und aller Väter und Mütter, aller Priester, aller Menschen Segen. Segnen heißt Gutes wünschen. Wenn Menschen segnen, wenn auch ihr Segen mit Gebet und Flehen